Die Nacht Von Lissabon
Taschentuch. Ich starrte auf den Bahnhof und öffnete das Fenster. Es hatte keinen Zweck, hinauszuspringen, wenn ich gefaßt wurde; man konnte nicht entkommen - aber das offene Fenster beruhigte etwas.
Der zweite Beamte stand in der Tür. ›Ihr Gepäck!‹
Ich holte meinen Koffer herunter und öffnete ihn.
Er schaute hinein und durchsuchte dann die Koffer meines Mitreisenden. ›Gut‹, erklärte er und grüßte.
›Meinen Paß‹, sagte ich.
›Den hat mein Kollege.‹
Der Kollege kam in derselben Minute. Es war ein anderer als vorher - ein Parteigenosse in Uniform, dünn, mit einer Brille und hohen Stiefeln.« Schwarz lächelte. »Wie die Deutschen Stiefel lieben!«
»Sie brauchen sie«, sagte ich. »Sie waten in so viel Dreck.«
Schwarz leerte sein Glas. Er hatte wenig getrunken während der Nacht. Ich sah auf die Uhr: es war halb vier. Schwarz sah es. »Es dauert nicht mehr lange«, sagte er. »Sie werden Zeit genug für das Boot und alles andere haben. Worüber ich jetzt zu berichten habe, ist eine Zeit des Glücks. Und über Glück kann man nicht viel erzählen.«
»Wie kamen Sie durch?« fragte ich.
»Der Parteigenosse hatte den Brief Helens gelesen. Er gab mir meinen Paß zurück und fragte, ob ich in der Schweiz Bekannte hätte. Ich nickte.
›Wen?‹
›Die Herren Ammer und Rotenberg.‹
Es waren die Namen von zwei Nazis, die in der Schweiz arbeiteten. Jeder Emigrant, der in der Schweiz gelebt hatte, kannte und haßte sie.
›Sonst noch jemand?‹
›Unsere Herren in Bern. Nicht nötig, sie alle zu nennen, nicht wahr?‹
Er salutierte. ›Viel Glück! Heil Hitler!‹
Mein Gefährte war nicht so glücklich. Er mußte alle Papiere vorzeigen und wurde einem Kreuzverhör unterzogen. Er schwitzte und stotterte. Ich konnte es nicht mit ansehen. ›Kann ich zum Speisewagen zurückgehen?‹ fragte ich.
›Selbstverständlich!‹ erwiderte der Parteigenosse. ›Guten
Appetit!‹
Ich fand den Speisewagen besetzt. Eine Schar Amerikaner hatte meinen Tisch okkupiert. ›Wo ist mein Platz?‹ fragte ich den Kellner.
Er hob die Schultern. ›Ich konnte ihn nicht halten. Was kann man gegen diese Amerikaner machen? Sie verstehen kein Deutsch und setzen sich hin, wo sie wollen! Nehmen Sie den Platz drüben. Tisch ist ja Tisch, nicht wahr? Ich habe Ihren Wein schon rübergestellt.‹
Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Eine Familie hatte die vier Plätze meines Tisches fröhlich beschlagnahmt. Da, wo mein Geld lag, saß jetzt ein sehr schönes, sechzehnjähriges Mädchen mit einer Kamera. Wenn ich darauf bestanden hätte, den Platz wiederzubekommen, hätte ich Aufmerksamkeit erregt. Wir waren noch auf deutschem Boden.
Während ich entschlußlos dastand, sagte der Kellner: ›Warum nimmt der Herr nicht einstweilen den Tisch drüben und nachher, wenn er frei wird, wieder den andern? Amerikaner essen schnell - belegte Brote und Orangensaft. Ich kann dem Herrn dann sein richtiges Essen hinterher servieren.‹
›Gut.‹
Ich setzte mich so, daß ich mein Geld beobachten konnte. Es ist merkwürdig mit einem - eine Minute vorher hätte ich gern auf alles Geld verzichtet, um nur durchzukommen, - jetzt aber saß ich da und wußte nur, daß ich es wiederhaben wollte, in der Schweiz allerdings, selbst wenn ich die amerikanische Familie attackieren müßte. Dann sah ich, wie draußen der kleine, schwitzende Mann abgeführt wurde, und hatte ein Gefühl tiefer, unbewußter Befriedigung, daß nicht ich es war, gekoppelt mit dem scheinheiligen Bedauern, das nichts als eine Bestechung des Schicksals durch billiges Mitleid ist.
Ich fand mich widerwärtig und konnte und wollte nichts dagegen tun. Ich wollte gerettet werden, und ich wollte mein Geld. Es war nicht das Geld als Geld - es war Sicherheit, es war Helen, es waren die Monate der Zukunft -, trotzdem war es das Geld, und es war meine eigene Haut und mein eigenes egoistisches Glück. Wir kommen nie davon los. Aber der in uns, den wir nicht kontrollieren können, sollte das Schauspielern lassen -«
»Herr Schwarz«, unterbrach ich ihn. »Wie kamen Sie zu Ihrem Geld?«
»Sie haben recht«, erwiderte er. »Auch diese törichte Tirade gehört dazu. Die Schweizer Zollbeamten kamen in den Speisewagen, und die amerikanische Familie hatte nicht nur Handgepäck, sondern auch Koffer im Gepäckwagen. Sie mußte hinaus. Die Kinder gingen mit. Sie waren mit dem Essen fertig. Der Tisch wurde abgeräumt. Ich ging
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