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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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hinüber, legte die Hand auf die Tischdecke und fühlte die schmale Erhöhung.
      ›Alles erledigt mit dem Zoll?‹ fragte der Kellner, als er meine Flasche herüberbrachte.
      ›Natürlich‹, erwiderte ich. ›Bringen Sie mir jetzt den Rostbraten. Sind wir schon in der Schweiz?‹
    ›Noch nicht‹, erklärte er. ›Erst wenn wir fahren.‹
    Er ging und ich wartete darauf, daß der Zug anziehen
    möge. Es war die rasende letzte Ungeduld, die Sie wahrscheinlich auch kennen. Ich starrte durch das Fenster auf die Leute am Bahnsteig; ein Zwerg im Smoking mit zu kurzen Hosen versuchte dort, mit aller Gewalt Gumpoldskirchener Wein und Schokolade von einem fahrbaren Nickelwagen zu verkaufen. Dann sah ich den schwitzenden Mann aus meinem Abteil zurückkommen. Er war allein und rannte zu seinem Wagen. ›Sie haben aber einen guten Zug‹, sagte der Kellner neben mir.
    ›Was?‹
      ›Ich meine, der Herr trinken den Wein aber wie beim Feuerlöschen.‹ Ich sah auf die Flasche. Sie war beinahe leer. Ich hatte sie getrunken, ohne es zu wissen. In diesem Augenblick rumpelte der Speisewagen. Die Flasche schwankte und fiel. Ich fing sie in der Hand. Der Zug begann zu fahren. ›Bringen Sie mir noch eine‹, sagte ich. Der Kellner verschwand.
      Ich zog das Geld unter dem Tischtuch hervor und steckte es ein. Gleich darauf kamen die Amerikaner zurück. Sie setzten sich an den Tisch, an dem ich vorher gesessen hatte, und bestellten Kaffee. Das Mädchen begann die Landschaft zu fotografieren. Ich fand, daß sie recht hatte; es war die schönste Landschaft der Welt.
      Der Kellner kam mit der Flasche. ›Jetzt sind wir in der Schweiz.‹
      Ich bezahlte die Flasche und gab ihm ein gutes Trinkgeld. ›Behalten Sie den Wein‹, sagte ich. ›Ich brauche ihn nicht mehr. Ich wollte etwas feiern, aber jetzt merke ich, daß schon die erste Flasche zuviel für mich war.‹
      ›Sie haben fast auf leeren Magen getrunken, mein Herr‹, erklärte er mir.
    ›Das war es.‹ Ich stand auf.
      ›Haben der Herr vielleicht Geburtstag?‹ fragte der Kellner.
    ›Jubiläum‹, sagte ich. ›Goldenes Jubiläum!‹

    Der kleine Mann in meinem Abteil saß schweigend für einige Minuten da; er schwitzte jetzt nicht mehr, aber man konnte sehen, daß sein Anzug und seine Wäsche feucht waren. Dann fragte er: ›Sind wir in der Schweiz?‹
    ›Ja‹, erwiderte ich.
      Er schwieg wieder und sah aus dem Fenster. Eine Station mit Schweizer Namen kam vorbei. Ein Schweizer Bahnhofsvorsteher winkte, und zwei Schweizer Polizisten standen neben dem Gepäck, das verladen wurde, und plauderten. Man konnte Schweizer Schokolade und Schweizer Würste an einem Kiosk erstehen. Der Mann lehnte hinaus und kaufte eine Schweizer Zeitung. ›Ist dies hier die Schweiz?‹ fragte er den Jungen.
    ›Ja. Was sonst? Zehn Rappen.‹
    ›Was?‹
    ›Zehn Rappen! Zehn Centimes! Für die Zeitung!‹
      Der Mann zahlte, als hätte er das große Los gewonnen. Das veränderte Geld mußte ihn endlich überzeugt haben. Mir hatte er nicht geglaubt. Er entfaltete die Zeitung, blickte hinein und legte sie weg. Es dauerte eine Weile, ehe ich hörte, was er sagte. Ich war so benommen von meiner neuen Freiheit, daß die Räder des Zuges in meinem Kopf zu rattern schienen. Erst nachdem ich sah, daß er seine Lippen bewegte, hörte ich, daß er sprach.
    ›Endlich heraus‹, sagte er und starrte mich an, ›aus eurem verfluchten Land, Herr Parteigenosse! Aus dem Land, das ihr zu einer Kaserne und einem Konzentrationslager gemacht habt, ihr Schweine! In der Schweiz, in einem freien Land, in dem ihr nichts zu befehlen habt! Endlich kann man den Mund aufmachen, ohne von euch mit dem Stiefel in die Zähne getreten zu werden! Was habt ihr aus Deutschland gemacht, ihr Räuber und Mörder und Folterknechte!‹ Kleine Blasen bildeten sich in seinen Mundwinkeln. Er starrte mich an, wie eine hysterische Frau eine Kröte anstarren würde. Er hielt mich für einen Parteigenossen, und nach dem, was er gehört hatte, hatte er recht.
    Ich hörte ihm zu mit der tiefen Ruhe, gerettet zu sein.
      ›Sie sind ein mutiger Mann‹, sagte ich dann. ›Ich bin mindestens zwanzig Pfund schwerer und fünfzehn Zentimeter größer als Sie. Aber sprechen Sie sich nur aus. Es erleichtert.‹
      ›Höhnen!‹ sagte er und wurde noch wütender. ›Verhöhnen wollen Sie mich auch noch, was? Aber das ist vorbei! Für immer vorbei! Was habt ihr mit meinen Eltern gemacht? Was hat mein alter Vater euch

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