Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
Vom Netzwerk:
getan? Und jetzt! Jetzt wollt ihr die Welt in Brand stecken!‹
    ›Glauben Sie, daß es Krieg gibt?‹ fragte ich.
      ›Höhnen Sie nur weiter! Als ob Sie das nicht wüßten! Was sonst bleibt euch übrig mit eurem Tausendjährigen Reich und eurer infamen Aufrüstung? Ihr Berufsmörder und Verbrecher! Wenn ihr keinen Krieg macht, bricht euer Schwindelwohlstand zusammen und ihr mit ihm!‹
      ›Das glaube ich auch‹, sagte ich und fühlte die warme Sonne des späten Nachmittags auf meinem Gesicht wie eine Liebkosung. ›Aber wie wird es, wenn Deutschland gewinnt?‹
      Der Mann mit dem feuchten Anzug starrte mich an und schluckte. ›Wenn ihr gewinnt, dann gibt es keinen Gott mehr‹, sagte er dann mit Mühe.
    ›Das glaube ich auch.‹ Ich stand auf.
      ›Rühren Sie mich nicht an!‹ zischte er. ›Sie werden verhaftet! Ich ziehe die Notbremse! Ich zeige Sie an! Sie sollten sowieso angezeigt werden, Sie Spion! Ich habe gehört, was Sie geredet haben!‹
    Das fehlte noch, dachte ich. ›Die Schweiz ist ein freies Land‹, sagte ich. ›Man verhaftet da nicht gleich auf Grund einer Denunziation. Sie scheinen drüben gut gelernt zu haben.‹
      Ich nahm meinen Koffer und suchte mir ein anderes Abteil. Ich wollte den hysterischen Mann nicht aufklären; aber ich wollte ihm auch nicht gegenübersitzen. Haß ist eine Säure, die die Seele auffrißt, ganz gleich, ob man selbst haßt oder gehaßt wird. Ich hatte das gelernt während meiner Wanderschaft.
    So kam ich nach Zürich.«

    9

    Die Musik setzte einen Augenblick aus. Man hörte aufgeregte Worte von der Tanzfläche. Gleich darauf setzte das Orchester stärker wieder ein, und eine Frau in einem kanariengelben Kleid und mit einer Kette falscher Diamanten im Haar begann zu singen. Das Unvermeidliche war geschehen: ein Mitglied der deutschen Partei war beim Tanzen mit einem der englischen zusammengeprallt. Jeder beschuldigte den anderen der Absicht. Der Manager und zwei Kellner spielten Völkerbund und begütigten, ohne gehört zu werden. Das Orchester war klüger: es wechselte den Rhythmus. Statt eines Foxtrotts spielte es einen Tango, und die Diplomaten mußten entweder stehen bleiben und lächerlich werden oder weitertanzen. Der deutsche Kontrahent aber schien keinen Tango zu kennen, während der englische den Rhythmus, auf der Stelle tanzend, andeutete. Da beide gleich darauf von den anderen Paaren angestoßen wurden, verlor sich ihr Argument. Mit wütenden Blicken gingen sie zu ihren Tischen.
      »Duellieren«, sagte Schwarz verächtlich. »Warum duellieren sich die Helden nicht?«
    »Sie kamen nach Zürich«, erwiderte ich.
    Er lächelte schwach. »Wollen wir hier weggehen?«
    »Wohin?«
      »Es gibt sicher noch einfache Kneipen, die die ganze Nacht offen sind. Dies hier ist ein Grab, in dem getanzt und Krieg gespielt wird.«
    Er zahlte und fragte den Kellner nach einem anderen Lokal. Der Mann schrieb eine Adresse auf ein Stück Papier, das er von seinem Block riß, und erklärte uns die Richtung, in der wir gehen müßten.
      Wir traten vor der Tür in eine wunderbare Nacht. Die Sterne waren noch da, aber schon lagen Meer und Morgen am Horizont in einer ersten, blauen Umarmung; der Himmel war höher und der Geruch nach Salz und Blüten stärker geworden als früher. Es würde ein klarer Tag werden. Lissabon hat am Tage etwas naiv Theatralisches, das bezaubert und gefangennimmt, aber nachts ist es das Märchen einer Stadt, die in Terrassen mit allen Lichtern zum Meere herabsteigt wie eine festlich geschmückte Frau, die sich niederbeugt zu ihrem dunklen Geliebten.
      Wir standen einige Zeit und schwiegen. »So haben wir uns einmal das Leben gedacht, wie?« sagte Schwarz schließlich trübe. »Tausend Lichter und Straßen, die in die Unendlichkeit fuhren -«
      Ich antwortete nicht. Für mich war das Leben das Schiff, das unten im Tejo lag, und es fuhr nicht in die Unendlichkeit - es fuhr nach Amerika. Ich hatte genug von Abenteuern; die Zeit hatte uns damit beworfen wie mit faulen Eiern. Das abenteuerlichste Abenteuer war ein gültiger Paß, ein Visum und eine Fahrkarte. Dem Wanderer wider Willen war das Alltägliche längst zur Phantasmagorie und das Abenteuer zur Plage geworden.
    »Zürich erschien mir damals so wie Ihnen diese Stadt heute nacht«, sagte Schwarz. »Dort begann das, was ich glaubte verloren zu haben. Sie wissen, daß Zeit ein sehr dünner Aufguß des Todes ist, der uns langsam zugefügt wird wie ein harmloses Gift. Anfangs

Weitere Kostenlose Bücher