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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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»Natürlich nicht die der geistvollen des achtzehnten Jahrhunderts, sondern die der unfreiwilligen und ebenfalls bösartigen oder dummen unseres plumpen Zeitalters des Fortschritts in der Technik und des Rückschritts in der Kultur. Hitler schreit es nicht nur in die Welt hinaus, sondern er glaubt es auch selbst, daß er ein Apostel des Friedens sei und daß die andern ihm den Krieg aufgezwungen haben. Mit ihm glauben das fünfzig Millionen Deutsche. Daß nur sie allein durch viele Jahre gerüstet haben, während keine andere Nation auf den Krieg vorbereitet war, ändert nichts an ihrer Auffassung. So war es auch nicht verwunderlich, daß wir, die den deutschen Lagern entkommen waren, nun in französischen landeten. Man konnte nicht einmal viel dagegen sagen - eine Nation, die um ihr Leben kämpft, hat Wichtigeres zu tun, als jedem Emigranten volle Gerechtigkeit zu erweisen. Wir wurden nicht gefoltert, nicht vergast und nicht erschossen, nur eingesperrt; was mehr konnten wir verlangen?«
    »Wann haben Sie Ihre Frau wiedergetroffen?« fragte ich.
    »Es dauerte lange. Waren Sie in Le Vernet?«
      »Nein; aber ich weiß, daß es eines der schlimmsten französischen Lager war.«
    Schwarz lächelte ironisch. »Das ist eine Sache von Graden. Kennen Sie die Geschichte von den Krebsen, die in einen Kessel mit kaltem Wasser geworfen wurden, um darin gekocht zu werden? Als das Wasser fünfzig Grad heiß war, schrien sie, es sei nicht zum Aushalten, und jammerten nach der schönen Zeit, als es nur vierzig Grad warm war; - als es sechzig war, jammerten sie nach der guten Zeit, als es nur fünfzig war, dann, bei siebzig, nach der von sechzig - und so fort. - Le Vernet war tausendmal besser als das beste deutsche Konzentrationslager; ebenso wie ein Konzentrationslager ohne Gaskammer besser ist als eines mit Giftgasanlagen - so kann man die Krebsparabel in unsere Zeit übertragen.«
    Ich nickte. »Was geschah mit Ihnen?«
      »Es wurde bald kalt. Wir hatten natürlich nicht genug Decken und keine Kohlen. Die übliche Schlamperei; aber Kummer ist schwerer zu ertragen, wenn man friert. Ich will Sie nicht langweilen mit der Schilderung des Winters im Lager. Ironie ist da billig. Hätten Helen und ich zugegeben, wir wären Nazis, so wäre es uns besser ergangen - wir wären in Speziallager gebracht worden. Während wir hungerten und froren und Diarrhöe hatten, sah ich in den Zeitungen Fotos der internierten deutschen Gefangenen, die keine Emigranten waren; sie hatten Messer und Gabeln, Stühle und Tische, Betten, Decken, ja sogar einen eigenen Eßraum. Die Zeitungen waren stolz darauf, wie anständig man die Feinde behandelte. Mit uns brauchte man nicht so vorsichtig zu sein; wir waren nicht gefährlich.
    Ich lebte mich ein. Ich schaltete den Begriff Gerechtigkeit aus, so wie Helen es mir geraten hatte. Abend für Abend, nach der Arbeit, saß ich in meinem Teil der Baracke. Ich hatte etwas Stroh, einen Meter breit und zwei Meter lang, als meinen Platz zugewiesen bekommen und trainierte mich, diese Zeit als einen Übergang zu betrachten, der nichts mit meinem Selbst zu tun hatte. Dinge geschahen, und ich hatte wie ein geschicktes Tier darauf zu reagieren. Kummer konnte ebenso töten wie Dysenterie, und Gerechtigkeit war ein Luxus für ruhige Zeiten.«
    »Glaubten Sie das wirklich?« fragte ich.
      »Nein«, erwiderte Schwarz. »Ich mußte es mir von Stunde zu Stunde neu einhämmern. Es war die kleine Ungerechtigkeit, über die man sich am schwierigsten hinwegtäuschen konnte. Nicht die große. Man mußte sich immer wieder über die kleine, alltägliche, die um das kleinere Stück Brot, die schwerere Arbeit, hinwegsetzen, um in der Erbitterung darüber nicht die große zu verlieren.«
    »Sie lebten also wie ein geschicktes Tier?«
    »Ich lebte so, bis der erste Brief von Helen kam«, sagte Schwarz. »Er kam nach zwei Monaten über die Adresse unseres Hoteliers in Paris. Das war so, als ob in einem stickigen dunklen Raum ein Fenster aufgerissen wird. Das Leben ist zwar auf der anderen Seite, aber es ist wieder da. Die Briefe kamen unregelmäßig; manchmal keine für Wochen. Es war sonderbar, wie sie das Bild Helens veränderten und bestätigten. Sie schrieb, daß es ihr gut gehe, daß sie endlich in ein Lager eingewiesen sei und in der Küche und später in der Kantine beschäftigt wäre. Sie brachte es fertig, mir zweimal ein Paket mit Lebensmitteln zu schicken, wie und durch welche Tricks und Bestechungen, weiß ich nicht.

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