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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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Lager verkaufte sie mir. Zwei Kapseln. Ich weiß nicht, was es genau war, aber ich glaubte ihm, daß man schnell und fast schmerzlos stürbe, wenn man sie schluckte. Er behauptete, das Gift reiche für zwei Personen. Er verkaufte es mir, weil er fürchtete, er würde es selbst nehmen, gegen Morgen, in der Stunde der Verzweiflung, bevor es hell wird.
      Wir waren aufgereiht wie Tauben zum Abschießen. Die Niederlage war zu überraschend gekommen. Niemand hatte sie so schnell erwartet. Wir wußten noch nicht, daß England keinen Frieden schließen würde. Wir sahen nur, daß alles verloren war« - Schwarz machte eine müde Bewegung - »und auch jetzt wissen wir ja noch nicht, ob nicht alles verloren ist. Wir sind bis zur Küste abgedrängt worden. Vor uns ist nur noch das Meer.«
      Das Meer, dachte ich. Und Schiffe, die es immer noch überqueren.
    In der Tür erschien der Besitzer der letzten Kneipe, in der wir gesessen hatten. Er grüßte uns spöttisch mit einer Art militärischem Salut. Dann flüsterte er den dicken Huren etwas zu. Eine von ihnen, eine Frau mit mächtigem Busen kam zu uns heran. »Wie macht ihr das eigentlich?« fragte sie.
    »Was?«
    »Es muß doch scheußlich wehtun.«
    »Was?« fragte Schwarz zerstreut.
      »Die Liebe der Matrosen auf hoher See«, schrie der Patron von der Tür her und schien vor Lachen alle seine Zähne ausspucken zu wollen.
      »Der schlichte Denker da drüben hat Sie belogen«, sagte ich zu der Frau, die einen gesunden Geruch nach Olivenöl, Knoblauch, Zwiebeln, Schweiß und Leben mitgebracht hatte. »Wir sind keine Homosexuellen. Wir waren beide im abessinischen Krieg und sind von den Eingeborenen kastriert worden.«
    »Ihr seid Italiener?«
      »Wir waren es«, erwiderte ich. »Wenn man kastriert ist, gehört man keiner Nation mehr an. Man ist Kosmopolit.«
      Sie dachte eine Zeitlang darüber nach. »Tu es comique«, sagte sie dann ernsthaft und ging mit wiegendem Riesenhintern zurück zur Tür, wo sie sofort handgreiflich vom Patron gewürdigt wurde.
    »Es ist sonderbar mit der Hoffnungslosigkeit«, sagte Schwarz. »Wie zähe hängt doch das in uns, was nicht einmal mehr Ich sagt, sondern nur noch Lebenwollen, am Da-Sein, dem Nur-Da-Sein! Man gerät da manchmal in das, was die Schiffer bei einem Taifun beschreiben: in eine völlige Windstille, mitten im Kern des Wirbels. Man gibt auf - man ist wie ein Käfer, der sich tot stellt -, aber man ist nicht tot. Man hat nur jede andere Anstrengung als das bloße Überleben aufgegeben, um zu überleben. Man ist wache, konzentrierte, äußerste Passivität. Man hat nichts mehr zu verschwenden. Windstille, während der Taifun wie eine runde Mauer darum herum tobt. Es gibt plötzlich keine Angst mehr; keine Verzweiflung - auch sie wären ein Luxus, den man sich nicht mehr erlauben kann. Die Anstrengung, die man an sie verschwenden müßte, würde der Essenz des Überlebens entnommen werden müssen und sie schwächen - deshalb wird sie ausgeschaltet. Man ist nichts mehr als Auge und gelöste, ganz passive Bereitschaft. Eine merkwürdige, gelassene Klarheit kommt über einen. Ich hatte manchmal in diesen Tagen das Gefühl, daß es ähnlich dem eines indischen Yogis sein müsse, der auch alles, was mit dem bewußten Ich zu tun hat, wegläßt, um -« Schwarz stockte.
    »Gott zu suchen?« fragte ich mit halbem Spott.
      Schwarz schüttelte den Kopf »Gott zu finden. Man sucht ihn immer. Aber man sucht ihn so, als ob man schwimmen möchte und dazu mit vielen Kleidern, Rüstung und Gepäck ins Wasser springt. Man muß nackt sein. So nackt wie in der Nacht, als ich die sichere Fremde verließ, um in die gefährliche Heimat zurückzukehren, und den Rhein überquerte wie einen Strom des Schicksals, ein schmales, vom Mond beschienenes bißchen Leben.
      Ich dachte manchmal im Lager an diese Nacht. Es schwächte mich nicht, daran zu denken - es stärkte mich. Ich hatte getan, was mein Leben gefordert hatte, ich war nicht gescheitert, ich hatte ein zweites, vom Himmel gefallenes Leben mit Helen gehabt - und was an Verzweiflung gekommen war und noch manchmal durch meinen Schlaf geisterte, war nur deshalb da, weil das andere dagewesen war: Paris, Helen und das unfaßbare Gefühl, nicht allein zu sein. Irgendwo lebte Helen, vielleicht lebte sie mit einem anderen Mann, aber sie lebte. Wie entsetzlich viel das sein kann, in einer Zeit wie der unseren, wo ein Mensch weniger ist als eine Ameise unter einem Stiefel!«
    Schwarz schwieg.

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