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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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werden. Helen trug ein unauffälliges Kostüm; es war außer dem Abendkleid, einem Paar Hosen und zwei Sweatern ungefähr alles, was sie an Garderobe besaß. Ich hatte den Monteuranzug. Einen zweiten Anzug hatte ich im Rucksack.
      Wir ließen die Sachen in einer Kneipe. Es war überall auffällig, Gepäck zu haben, obschon auch zahlreiche Franzosen mit Koffern unterwegs waren. ›Wir werden zu einem Reisebüro gehen und nach den Schiffen fragen‹, sagte ich. Wir kannten niemand in der Stadt.
      Es existierte tatsächlich noch ein Büro. In den Fenstern hingen alte Plakate: ›Verbringt den Herbst in Lissabon‹ - ›Algier, die Perle Afrikas‹ - ›Ferien in Florida‹ - ›Sonniges Granada‹. Die meisten waren ausgebleicht, aber die von Lissabon und Granada leuchteten noch prachtvoll farbig.
      Wir brauchten nicht zu warten, bis wir zum Schalter kamen. Ein vierzehnjähriger Experte informierte uns. Es stimmte nicht mit den Schiffen. Gerüchte dieser Art hätten seit Wochen umhergeschwirrt. Tatsache sei, daß lange vor der Besetzung ein englisches Schiff dagewesen sei, um Polen und Emigranten abzuholen, die sich zur polnischen Legion gemeldet hatten, einer Truppe von Freiwilligen, die in England zusammengestellt wurde. Zur Zeit ginge kein Schiff. Ich fragte, was alle die Leute im Raum dann wollten.
    ›Die meisten dasselbe wie Sie‹, erwiderte der Experte.
    ›Und Sie?‹ fragte ich.
      ›Ich habe aufgegeben wegzukommen‹, sagte er. ›Ich mache daraus meinen Broterwerb. Ich bin Dolmetscher, Ratgeber, Fachmann in Visa-Angelegenheiten, Experte in Unterkünften -‹
    Ich wunderte mich nicht. Not macht frühreif, und Jugend kennt keine Trübung des Blickes durch Sentimentalität und Vorurteile. Wir gingen in ein Café, und der Experte gab mir einen Überblick über die Lage. Es war möglich, daß die Truppen abziehen würden; aber Bordeaux war für Aufenthaltserlaubnisse trotzdem schwierig; für Visa ganz schlecht. Bayonne wurde für spanische Visa als gut im Augenblick befunden, aber es war überfüllt. Am besten schien Marseille zu sein; aber das war ein langer Weg. Wir haben ihn alle gemacht, später. Sie auch?« fragte Schwarz.
    »Ja«, sagte ich. »Den Kreuzweg.«
      Schwarz nickte, »Ich versuchte natürlich das amerikanische Konsulat auf dem Wege. Aber Helen hatte einen gültigen deutschen Paß aus der Nazizeit; wie konnten wir da beweisen, daß wir in Todesgefahr waren? Die Juden, die ohne Papiere voll Angst vor den Türen lagen, schienen in größerer Gefahr zu sein. Unsere Pässe wurden Zeugen gegen uns, sogar der des toten Schwarz.
      Wir beschlossen, zu unserem Schlößchen zurückzukehren. Zweimal hielten uns Gendarmen an; beide Male machte ich mir die Depression zunutze - ich schnauzte die Gendarmen an, hielt ihnen die Pässe unter die Nase und berief mich als Österreich-Deutscher auf die Militärverwaltung. Helen lachte, sie fand das alles komisch. Ich war das erste Mal auf die Idee gekommen, als ich in der Kneipe unser Gepäck zurückverlangt hatte. Der Wirt hatte erklärt, nie Gepäck von uns erhalten zu haben. ›Wenn Sie wollen, können Sie ja die Polizei rufen‹, sagte er und blinzelte mich lächelnd an. ›Aber das wollen Sie doch wohl nicht!‹
      ›Das brauche ich nicht‹, erwiderte ich. ›Geben Sie die Sachen her!‹
      Der Wirt nickte dem Schankburschen zu. ›Henri, der Herr möchte gehen.‹
      Henri kam mit aufgekrempelten Ärmeln heran. ›Ich würde mir das überlegen, Henri‹, sagte ich zu ihm. ›Oder brennen Sie darauf, zu sehen, wie ein deutsches Konzentrationslager von innen aussieht?‹
    ›Ta gueule‹, erwiderte Henri und hob die Arme nach
    mir.
      ›Schießen Sie, Sergeant!‹ sagte ich scharf und sah an seinem Kopf vorbei.
      Henri fiel darauf herein. Er sah sich um, und da er die Arme noch halb erhoben hatte, trat ich ihm mit aller Kraft in seine Geschlechtsteile. Er brüllte auf und ging zu Boden. Der Wirt griff nach einer Flasche und kam um die Theke herum. Ich nahm eine Flasche Dubonnet, die auf dem Zinkbelag stand, schlug sie gegen eine Ecke und hielt den zackigen Rest in der Hand. Der Wirt blieb stehen. Hinter mir splitterte eine zweite Flasche. Ich sah mich nicht um; ich konnte den Wirt nicht aus den Augen lassen.
      ›Ich bin’s‹, sagte Helen und schrie den Wirt an: ›Salaud! Gib die Sachen heraus, oder du hast kein Gesicht mehr!‹
      Sie kam um mich herum, ihre zerbrochene Flasche in der Hand, und ging gebückt auf den Wirt

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