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Die Nacht Von Lissabon

Die Nacht Von Lissabon

Titel: Die Nacht Von Lissabon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
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wollen sehen, daß wir bald nach Marseille kommen‹, sagte ich. ›Und von dort nach Lissabon und dann nach Amerika.‹ Es gibt dort gute Ärzte, dachte ich. Und Krankenhäuser, in denen man nicht verhaftet wird. Ich werde vielleicht auch arbeiten dürfen. ›Wir werden Europa vergessen wie einen bösen Traum‹, sagte ich. Helen antwortete nicht.«

    15

    »Die Odyssee begann«, sagte Schwarz. »Die Wanderung durch die Wüste. Der Zug durch das Rote Meer. Sie kennen ihn sicher auch.«
      Ich nickte. »Bordeaux. Das Abtasten der Grenzübergänge. Die Pyrenäen. Der langsame Sturm auf Marseille. Der Sturm auf die trägen Herzen und die Flucht vor den Barbaren. Dazwischen der Irrsinn der wildgewordenen Bürokratie. Keine Aufenthaltserlaubnis - aber auch keine Ausreiseerlaubnis. Und wenn man sie schließlich erhielt, war inzwischen das spanische Durchreisevisum abgelaufen, das man wiederum nur bekam, wenn man ein Einreisevisum für Portugal besaß, das oft noch von einem anderen abhängig war, was hieß, daß alles wieder von vorn zu beginnen hatte - das Warten vor den Konsulaten, diesen Vororten des Himmels und der Hölle! Ein Circulus vitiosus des Wahnsinns!«
    »Wir kamen vorerst in eine Windstille«, sagte Schwarz. »Helen brach am Abend zusammen. Ich hatte ein Zimmer in einem abgelegenen Gasthof gefunden. Wir waren zum ersten Mal wieder legal; - wir hatten zum ersten Mal seit vielen Monaten wieder ein Zimmer für uns allein - das war es, was den Weinkrampf bei ihr hervorrief. Wir saßen nachher schweigend in dem kleinen Garten des Gasthofs. Es war schon sehr kühl, aber wir wollten noch nicht schlafen gehen. Wir tranken eine Flasche Wein und blickten auf die Straße, die zum Lager führte und die man vom Garten aus sehen konnte. Eine tiefe Dankbarkeit saß mir fast schmerzhaft im Nacken. Alles war an diesem Abend ausgelöscht durch sie, sogar die Furcht, daß Helen krank sei. Sie sah nach ihrem Weinkrampf gelöst und sehr ruhig aus, wie eine Landschaft nach einem Regen, und so schön, wie man manchmal Gesichter auf alten Kameen sieht. Sie werden das verstehen«, sagte Schwarz. »In einem Dasein, wie wir es führen, hat Krankheit eine andere Bedeutung als sonst. Krankheit heißt bei uns, nicht mehr fliehen zu können.«
    »Ich weiß«, erwiderte ich bitter.
      »Am andern Abend sahen wir die abgeblendeten Lichter eines Wagens die Straße zum Lager emporkriechen. Helen wurde unruhig. Wir hatten uns den Tag über kaum aus unserm Zimmer gerührt. Wieder ein Bett zu haben und einen eigenen Raum, war ein solches Erlebnis, daß man es nicht genug genießen konnte. Wir spürten auch beide, wie müde und erschöpft wir waren, und ich hätte mich gern für Wochen nicht aus dem Gasthof gerührt. Aber Helen wollte plötzlich fort. Sie wollte die Straße zum Lager nicht mehr sehen. Sie fürchtete, die Gestapo würde sie weiter suchen.
    Wir packten unsere paar Sachen. Es war vernünftig,
    weiterzuwandern, solange wir noch eine Aufenthaltserlaubnis für unseren Bezirk hatten; wenn wir anderswo geschnappt würden, konnte man uns höchstens hierher zurückweisen, aber uns nicht gleich festnehmen, hofften wir.
      Ich wollte nach Bordeaux; auf dem Wege aber hörten wir, daß es längst zu spät dafür sei. Ein kleiner CitroenZweisitzer nahm uns mit, und der Fahrer riet uns, zu versuchen, irgendwoanders unterzukommen. Es sei da ein kleines Schloß in der Nähe seines Zieles; er wisse, daß es leerstände, vielleicht könnten wir da für die Nacht kampieren.
    Wir hatten kaum eine Wahl. Am späten Nachmittag setzte uns der Fahrer ab. Vor uns im grauen Licht lag das Schlößchen, eigentlich eher ein Landhaus, dessen Fenster dunkel waren und keine Gardinen zeigten. Ich ging die Freitreppe hinauf und versuchte die Tür. Sie war offen und zeigte Spuren, daß sie gewaltsam geöffnet worden war. Meine Schritte hallten in der dämmerigen Halle. Ich rief und bekam ein gebrochenes Echo als Antwort. Die Räume waren vollkommen leer. Alles, was weggenommen werden konnte, war weggenommen worden. Geblieben aber waren die Räume des achtzehnten Jahrhunderts, die getäfelten Wände, die edlen Maße der Fenster, die Decken und die graziösen Treppen.
      Wir gingen langsam hindurch. Niemand antwortete auf unsere Rufe. Ich suchte nach elektrischen Schaltern. Es waren keine da. Das Schlößchen hatte noch keine Elektrizität; es war geblieben, wie es erbaut war. Ein kleines Speisezimmer war da in Gold und Weiß - ein Schlafzimmer in hellem Grün

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