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Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition)

Titel: Die Nacht wird deinen Namen tragen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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kurzen Bögen schwang sie sich über den Neckar, der - war es das Wetter, war es die Perspektive? - mehr einer schwülstigen Postkarte entnommen schien, als dass er Ähnlichkeiten mit der dunklen Brühe des Winters gehabt hätte.
    Altomonte schien es eilig zu haben. Ohne die Stadt oder sonst irgendetwas eines Blickes zu würdigen, hetzte er den Philosophenweg entlang, dass ich Mühe hatte, mit seinen dürren Storchenbeine Schritt zu halten.
    »Man sagt, du arbeitest über Hydrodynamik?« Es war kaum eine Frage. Dennoch hatte er seinen Schritt verlangsamt.
    Ich runzelte die Stirn. »Ja, thermische Konvektion. Das Verhalten von Fließsystemen…«
    Altomonte sah hinunter auf den Neckar, und plötzlich warf er sich in die Brust und deklamierte mit trauriger Stimme:
    »Der fleckige Fluss,
    Der immer weiter floss, nicht einmal auf dieselbe Weise,
    Floss durch viele Orte, als verharre er in einem.«
    Auch ich war stehen geblieben. »Was redest du da?« Altomontes Wunderlichkeit war Tagesgespräch am Institut, und doch, obwohl vorgewarnt, gelang es ihm, mich an diesem Tag gehörig zu verwirren.
    Er lachte. »Stevens.«
    Wir gingen langsamer weiter.
    »Konvektion, Dissipation«, murmelte er ein paar Mal leise vor sich hin. »Interessant, sehr interessant…«
    Ich gestehe, ein wenig stolz gewesen zu sein. Noch kam ich mir wie ein interessantes Fundstück vor, eine abgegriffene Münze vielleicht, die er inmitten von wertlosem Gerümpel entdeckt hatte und nun nachdenklich betrachtete, aber es gab keinen Zweifel: ich hatte die Aufmerksamkeit des Meisters erregt.
    »Schon, aber keine einfache Materie«, gab ich zurück.
    »Eh, eh«, er kicherte in sich hinein. »Navier-Stokes-Gleichungen, stimmt’s?«
    Ich horchte auf. »Und du, mit was beschäftigst du dich?«
    »Ich? Mit Pendeln.« Er hatte es in einem Ton gesagt, als könne es für einen erwachsenen Menschen keine sinnvollere Beschäftigung geben.
    Seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten vielleicht interessierte sich kein ernsthafter Physiker mehr für Pendel. Zuerst glaubte ich mich verhört zu haben.
    »Mit was?«
    »Pendeln, Perpendikeln, Oszillatoren, periodischen Systemen…«
    »Ich verstehe«, unterbrach ich ihn, obwohl ich gar nichts verstand.
    Dann ging es hinunter, Stufe um Stufe eine endlose Treppe, und diesmal war ich es, der ihn abhängte. Schnaufend und hustend stolperte Altomonte hinter mir her. Schnell wuchs die Stadt empor, und wenige Minuten später standen wir unten auf der Uferstraße.
    Noch schwer atmend, stützte er sich auf meinen Arm. »Mensch, Heilant!« stammelte er eindringlich. »Du solltest dir das wirklich mal anschauen!«
    Meinte er seine Pendel, die Navier-Stokes-Gleichungen oder irgendetwas anderes, was mir entgangen war oder meine bemitleidenswerte Auffassungsgabe überstieg? Das Schloss vielleicht, die mit Burschenschaftsfahnen beflaggten Häuser?
    »Und du solltest das Rauchen aufgeben!« erwiderte ich, um überhaupt etwas zu sagen.
    Erneut nahm er Haltung an. Mit Schwung warf er den Kopf zurück und das dunkle Haar aus der Stirn. Er blickte hinauf in den Frühlingshimmel. Seine eingefallenen Wangen bebten theatralisch:
    » Dass in der schattenlosen Atmosphäre,
    Das Wissen von den Dingen lag,
    Doch wahrgenommen nicht.«
    »Wieder Stevens?«
    »Ja, du hättest das Ende abwarten sollen« Wie um sich zu entschuldigen, fügte er hinzu: »Das wird das Motto meiner Doktorarbeit.«
    In den darauffolgenden Wochen und Monaten lernte ich diese augenfälligste Eigenart Altomontes besser kennen. Er war ein Schauspieler, ein Clown. Menschen brauchte er vor allem als Publikum. Sein Spott war manchmal so verletzend, wie seine Selbstironie mitunter peinlich war. So sehr sein Kopf mit erbaulichen Zitaten und absonderlichen Versen, ganzen Szenen klassischer Dramen oder tausendfach wiederholten Lebensweisheiten, Redensarten, kurz Klischees aller Art angefüllt schien: stets inszenierte er sich selbst. Was er auch aufführte, nie sollte jemand daran zweifeln, dass e r spielt e . Er streifte sich mal diese, mal jene Maske über, und doch durfte auch die kunstvollste Verkleidung niemals darüber hinwegtäuschen, dass sie etwas verbarg. Was es war, blieb ein Rätsel.
    Im krassen Widerspruch zu dieser spielerischen Virtuosität, mit der er höchst feinfühlig ein Netz von Täuschung und Einbildung, von Hintersinn und Unsinn spinnen konnte, stand das schroffe, geradezu unversöhnliche Rebellentum, das seine wissenschaftliche Arbeit auszeichnete und ihn schließlich

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