Die Nacht zum Dreizehnten
kann ungestraft größere Mengen davon zu sich nehmen.«
Er füllte sein Glas und schaute zu, wie die Blasen an der Oberfläche platzten. »Haben Sie das Parfüm bemerkt, das Schwester Ariane benutzt?«
Johann Heidmann schaute Bruckner mit großen, naiven Kinderaugen an. »Nein«, gestand er. »Im übrigen verstehe ich nicht viel von Parfüm.«
»Es ist Val-de-val, ein teures Parfüm, das man eigentlich nur in Paris und auch in den Läden der internationalen Flughäfen zu kaufen bekommt. Haben Sie außerdem das Feuerzeug gesehen, das sie benutzt?«
»Das habe ich nicht gesehen! Sie hat in meiner Gegenwart nicht geraucht.«
»Es war ein Cartier-Feuerzeug, stark vergoldet und kostet unter Brüdern weit über fünfhundert Mark. Auch das kann sich eine einfache Schwester kaum erlauben. Sie sagte zwar, sie habe es geschenkt bekommen, aber wer macht schon solche teuren Geschenke?«
Dr. Bruckner trank einen Schluck seines Mineralwassers. »Und ihre Handtasche trägt das Aigner-Zeichen. Sobald sich dieses modifizierte Hufeisen auf irgendeinem Gegenstand des täglichen Lebens befindet, steigt der Preis gleich um mindestens 50 bis 100 Prozent.«
Nun zog der Oberarzt seine Pfeife aus der Tasche, stopfte sie und zündete sie an. Langsam stieß er eine Rauchwolke in die Luft.
»Sehr interessant! Wie ein Detektiv. Und was fiel Ihnen noch auf?« drängte Heidmann weiter.
»Es gab noch eine ganze Menge solcher Dinge, die jedem aufmerksamen Beobachter auffallen mußten. Ich möchte nur ihre Armbanduhr erwähnen …«
»Die war sehr geschmackvoll! Die habe ich bemerkt. Das ist so eine Uhr, wie ich sie immer haben wollte.«
»Es ist eine Chopard-Uhr, eine der teuersten Uhren der Schweiz. Sie ist aus Weißgold und das dazugehörige Armband ebenfalls. Und der Diamantring, den sie am kleinen Finger trägt, ist auch nicht zu verachten.«
Staunend schaute Heidmann seinen Freund Bruckner an. »Was' Sie alles in einer so kurzen Zeit bemerken!«
»Man muß halt die Augen aufhalten – entweder, um seine Mitmenschen richtig zu erkennen und einzuschätzen, oder aber auch, um am Krankenbett die richtige Diagnose zu stellen. Das ist eine Eigenschaft, die heute die meisten Ärzte leider verloren haben. Sie schauen sich nur die Laborbefunde an, aber nicht mehr den Kranken selbst. Und das ist doch viel wichtiger als alle Werte, die uns das Labor vermittelt.«
»Dann halten Sie sie vielleicht für eine –«, es war, als scheue sich Heidmann, das Wort auszusprechen: »Hochstaplerin?«
Thomas Bruckner schob seinen leergegessenen Teller von sich. Er schüttelte den Kopf. »Möglich wäre es, aber eine Hochstaplerin wird sich kaum als Krankenschwester ausgeben. Sie wäre eher als Ärztin vorstellig geworden.«
Bruckner erhob sich. Er umfaßte die Rückenlehne des Stuhles mit beiden Händen und schaute lächelnd seinen jungen Assistenten an. »Es ist zu früh, um eine Diagnose zu stellen. Was sie wirklich ist, werden wir in den nächsten Tagen mit Sicherheit herausbekommen. Auf alle Fälle gefällt sie mir.«
»Mir auch!« platzte Dr. Heidmann heraus.
»Ich muß Sie jetzt verlassen, damit ich rechtzeitig in die Stadt komme, ich darf Ihnen für Ihren Nachtdienst noch recht viel Spaß wünschen!«
»Sie sind gut! Oberarzt Wagner und Spaß …« Heidmann griff nach einer neuen Scheibe Brot. »Das paßt beides nicht zusammen. Ich möchte Ihnen gleichfalls einen schönen Abend wünschen. Vielleicht rufen Sie mal von unterwegs an, um in meinen trüben Nachtdienst ein wenig Licht zu bringen!«
Bruckner ging zur Tür, nickte Heidmann zu und verließ das Kasino.
Die alte Maria kam aus der Küche. »Sie gehen nicht mit?«
»Nein – heute lasse ich ausnahmsweise einmal Dr. Bruckner allein gehen. Er muß ja nicht immer unter Kuratel stehen. Spaß beiseite – ich habe Nachtdienst – und noch dazu mit Dr. Wagner als Oberarzt.«
»Viel Vergnügen!« Maria lauschte. »Ich glaube, da kommt er schon höchstpersönlich. Ich erkenne seinen Schritt unter hundert anderen …«
In der Tat öffnete sich die Kasinotür, und Oberarzt Wagner trat ein. Er schaute sich im Kasino um. Es sah aus, als ob er auf einen anderen Tisch zusteuern wollte, aber dann kam er doch auf Dr. Heidmann zu. »Sie gestatten?«
»Aber ich bitte Sie, Herr Oberarzt. Hier haben doch allenfalls Sie zu gestatten«, versuchte Johann Heidmann einen Scherz.
Oberarzt Wagner verstand ihn nicht. Er nahm nicht Platz, sondern blieb vor dem Tisch stehen. »Ich hatte Sie schon
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