Die Nacht zum Dreizehnten
Zudrehen der Quetschschraube den Zufluß der Flüssigkeit.
»Ich habe auf jeden Fall –«, er deutete auf die mit der Infusionslösung gefüllte Flasche, »schon einmal Flüssigkeit gegeben, um den Schock zu bekämpfen.«
*
Professor Robert Bergmann und seine Frau hatten eine abendliche Fahrt auf der Seine unternommen. Sie saßen auf einem der eleganten Boote vor einem opulenten französischen Mahl. Auf dem Tisch standen Kerzen. Das Ufer wurde mit Scheinwerfern angestrahlt, wenn das Boot an bekannten Gebäuden vorbeifuhr.
»Das ist eine wunderbare Art, zu Abend zu essen!« Bergmanns Blicke glitten immer wieder über die berühmten Gebäude. »Erkennst du den Louvre?« Er zeigte auf das langgestreckte Gebäude, an dem jetzt das Boot vorbeifuhr.
»Und da –«, er deutete auf die andere Seite, »ist die Conciergerie.«
Yvonne hatte großen Spaß an ihrem Mann, der sich wie ein kleines Kind beim Wiedersehen aller dieser Gebäude freute. »Hier hat sich nichts geändert«, meinte der Professor und strahlte seine Frau an. Er war wieder ganz dem Zauber der Seinestadt verfallen:
Der Ober räumte die Nachtischschalen fort. Er verteilte den Rest des Weins aus der Flasche auf die beiden Gläser.
»Jetzt geht auch diese Fahrt zu Ende. Gleich legen wir an.«
Das Schiff verlangsamte sein Tempo und näherte sich dem Ufer. Die Motoren brummten und ließen den Rumpf des Schiffes erzittern. Matrosen warfen die Halteleine aus und befestigten sie an einem der Pfähle, die am Anlegesteg aus dem Wasser ragten.
»Schade!« Robert Bergmann schritt am Arm seiner Frau zum Ausgang.
»Wohin möchtest du jetzt gehen?« fragte Yvonne.
»Gehen wir in die Rhumerie. Das ist ein Lokal, in dem Rum auf verschiedenste Art ausgeschenkt wird. Ich habe als Student da oft gesessen.«
Yvonne mußte ihn zurückhalten. Er schien es gar nicht erwarten zu können, in das Rum-Restaurant zu kommen. »Nicht so rasch! Du sollst dein Bein ein wenig schonen.«
»Entschuldige! In Paris habe ich einfach das Gefühl, daß ich noch beide gesunde Beine habe.«
Sie gingen jetzt langsam durch die Straßen und erreichten schließlich den Boulevard Saint Germain.
»Da vorn ist das Lokal.« Der alte Herr steuerte auf die Terrasse des Lokals zu. Alle Stühle und Tische schienen besetzt zu sein, aber der Ober deutete auf eine Ecke.
»Deux rhums«, bestellte Professor Bergmann. Er lachte, als Yvonne ihn kopfschüttelnd ansah. »Hier bestimme ich mal – ausnahmsweise«, fügte er schmunzelnd hinzu.
Der Ober brachte die beiden Gläser und stellte sie auf den Tisch.
»Ich glaube, ich kenne Sie …«
Der Kellner zuckte mit den Schultern. »Das ist durchaus möglich. Ich arbeite seit drei Jahren hier.«
Bergmann lächelte wehmütig. »Ich glaubte, ich hätte Sie vor –«, er überlegte, »dreißig Jahren hier gesehen.«
»Mais Monsieur – da war ich noch gar nicht geboren!«
Yvonne legte ihrem Mann lächelnd die Hand auf den Arm. »Du bist wie ein kleines Kind. Du glaubst, daß die Welt stehengeblieben sei. Inzwischen ist eine neue Generation herangewachsen. Aber ärgere dich nicht, ich freue mich, daß du dich hier wohl fühlst.«
»Hier hat sich wirklich nichts verändert.« Er nahm das Glas auf, setzte es an die Lippen und trank einen Schluck. »Was meinst du – ob ich einmal die Klinik anrufe?« Seine Blicke gingen zu dem Telefon, das im Innern des Lokals auf der Theke stand.
»Also Robert, ich bitte dich!« Ihre Stimme klang vorwurfsvoll. Sie hob das Glas, trank einen Schluck, behielt es dann in der Hand und schaute über seinen oberen Rand den Professor an. »Einmal machen wir Urlaub, und das haben wir seit Jahren nicht mehr gemeinsam getan. Da mußt du deine Klinik vergessen können. So etwas kann man üben. Zum anderen aber ist ja inzwischen Quenstadts Tochter in Köln eingetroffen. Ich glaube, es geht alles seinen richtigen Gang.«
*
Dr. Heidmann stand neben dem Patienten, der auf dem Untersuchungstisch lag. Er hatte seine Hand ergriffen und fühlte nach dem Puls. Seine Augen gingen zu der großen Uhr über dem Eingang. Es war totenstill im Raum. Man glaubte, den Herzschlag der Menschen, die sich darin befanden, hören zu können.
Die Tür wurde aufgestoßen. Ein Polizist trat ein. Er erschrak, als er den Verletzten sah.
»Was ist mit dem los?«
Das Gesicht des Verletzten war aufgequollen. Es sah aus, als hätte man einen Ballon, der ein Gesicht darstellt, zu stark aufgeblasen. Die Konturen waren verstrichen. Ein Hals war nicht mehr
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