Die Nacht zum Dreizehnten
sie sie an. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie warten ließ, aber ich kann an einer Rose nicht vorbeigehen, ohne mich ihr einen Augenblick zu widmen.« Sie folgte Schwester Angelika, die jetzt wieder auf dem gepflasterten Weg ging und auf Gebäude zeigte, die hinter Büschen auftauchten. »Dort ist das Schwesternhaus, und das ist das Ärztehaus.«
Schwester Angelika beobachtete Ariane, um festzustellen, welche Wirkung diese Worte auf sie ausüben würden, aber sie schien nicht davon berührt zu sein. Sie warf nicht einmal einen längeren Blick auf den Flachbau. »Wohnen alle Schwestern dort?«
»Die meisten. Es würden gern alle hier wohnen, aber leider haben wir nicht genug Zimmer.«
»Dann haben Sie für mich eine Ausnahme gemacht?«
»Ja, das tun wir immer mit neuen Schwestern, die von auswärts kommen. Es dauert eine Weile, bis sie sich ein Zimmer gesucht haben. Und wir wollen ihnen die Gelegenheit geben, sich ihr Zimmer nicht unter Zeitdruck suchen zu müssen, damit sie auch etwas finden, was ihnen gefällt.«
Schwester Angelika nahm einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür. »Bitte sehr!« Sie machte eine einladende Bewegung in das Innere.
»Wohnen Sie auch hier?« Ariane folgte Schwester Angelika über den Flur zum Treppenhaus.
»Nein, ich habe mein Zimmer in der Station. Wissen Sie –«, Schwester Angelika stieg die Treppe hinauf, »ich bin noch eine Schwester vom alten Schrot und Korn. Wir möchten gern dort wohnen, wo unsere Patienten sind.«
»Das bedeutet praktisch, daß Sie immer im Dienst sind?«
»Das ist es! Aber wenn einem der Beruf Spaß macht und wenn man in ihm aufgeht, hat man nicht das Gefühl, dauernd im Dienst zu sein. Ich könnte wahrscheinlich gar nicht woanders leben. Mir würde meine Welt fehlen.« Sie war vor einem Zimmer stehengeblieben und öffnete die Tür. »Das wird nun Ihr Reich sein!« Sie schloß die Tür auf, öffnete sie weit und wartete, bis die neue Schwester eingetreten war.
Ariane blieb in der Tür stehen. Das Zimmer war nüchtern und zweckmäßig eingerichtet. Ein Bett, ein kleiner Schreibtisch mit Stuhl, ein Schrank, ein Hocker, das war schon alles, was sich an Mobiliar in dem Zimmer befand.
Sie ging auf den Tisch zu. »Eine Rose? Hat die meine Vorgängerin hiergelassen?«
»Nein, natürlich nicht. Die Zimmer werden doch immer wieder gesäubert, wenn jemand auszieht. Nein, die habe ich Ihnen hingestellt.«
»Die haben Sie mir hergestellt?« Ariane nahm die kleine Vase mit der Rose in der Hand. »Ich glaube, ich hätte mich nur halb so wohl gefühlt, wenn diese Rose nicht hier gestanden hätte! Ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Woher wissen Sie, daß ich Rosen so gern mag?«
»Ich mag Rosen auch gern – deswegen habe ich Ihnen eine hingestellt. Sie haben ja gesehen, daß im Garten genug davon blühen. Es kostet nicht einmal etwas …«
»Doch!« Ariane stellte die Rose auf den Tisch zurück und gab Schwester Angelika die Hand. »Das da –« , ihr Blick wanderte zu der Rose zurück, »kostet mehr als Geld. Es kostet nämlich Überlegung! Ich danke Ihnen nochmals von ganzem Herzen.«
Schwester Angelika errötete unter den Blicken der Jüngeren. Sie, die sonst gewohnt war, andere Schwestern mit einer gewissen Souveränität zu behandeln, fühlte sich plötzlich ganz klein. Sie merkte, wie sie errötete.
Ariane ging auf Schwester Angelika zu, legte ihren Arm um die alte Schwester und küßte sie auf beide Wangen. »Ich danke Ihnen! Sie haben mir eine sehr große Freude bereitet.« Sie deutete auf einen Stuhl. »Wollen Sie nicht einen Augenblick Platz nehmen …«
Schwester Angelika schüttelte den Kopf. »Ich bin im Dienst und muß zurück. Man wartet drüben auf mich.« Sie ging zur Tür. Es sah fast so aus, als ob sie so rasch wie möglich hinauswollte, um sich dem Einfluß der jungen Frau zu entziehen. Sie öffnete die Tür und erschrak.
Draußen stand Dr. Bruckner.
»Ich wollte gerade anklopfen. Darf ich?«
»Bitte sehr –, Schwester Angelika wollte gerade gehen. Schauen Sie«, Ariane deutete auf die Rose, »die fand ich hier vor!«
Dr. Bruckner nahm die Hand vor, die er auf dem Rücken gehalten hatte. »Ich habe mir erlaubt, Ihnen auch eine Rose mitzubringen.« Er schaute lächelnd Schwester Angelika an. »Ich glaube, beide Rosen haben dieselbe Herkunft: unseren vielgeliebten Klinikgarten, Sie brauchen sich also keine Gedanken zu machen, wenn wir Ihnen in solcher Fülle Rosen schenken.«
»Ich mache mir aber doch Gedanken,
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