Die Nachtmahr Wunschträume
Eingeweihte in der Familie.
Typisch
, dachte ich, nicht ohne einen merkwürdigen Anflug von Verbitterung. Wieso sollte man mich auch einweihen? Offiziell wusste ich ja noch nicht einmal, dass ich in einer Familie von Tagmahren lebte.
»Kaffee?« Tante Meg hatte sich wieder gefangen und strahlte ob des gedeckten Tisches und der Anwesenheit ihres Mannes wie ein verliebter Teenager. Ohne Klaus’ Antwort abzuwarten, goss sie ihm eine Tasse ein. Zur Abwechslung nahm ich auch eine. Wenn Klaus ihn gekocht hatte, war er vermutlich in Ordnung. Etwas, was man von Tante Megs Kaffee nie behaupten konnte. Nicht einmal, wenn das eigene Leben davon abhing.
»Wo hast du geschlafen?« Obwohl sich Meg offensichtliche Mühe gab, ihre Frage harmlos zu formulieren, war die versteckte Spitze darin zu hören.
»Im Wohnzimmer.«
Klaus hob die Zeitung so an, dass er hinter ihr verschwand und beendete das Gespräch mit seiner Ehefrau. Ich spähte ins Nebenzimmer. Der Kissen- und Deckenberg auf der Couch sprach Bände. Klaus war zurück. Mit allen Konsequenzen. Das fing ja heiter an.
»Ich will nicht, dass du wieder anfängst im Wohnzimmer zu schlafen.« Meg trat zu David, als suche sie bei ihrem Stiefsohn Unterstützung, und schüttete ihm ebenfalls einen Kaffee ein. Ihre Hand zitterte leicht und ein Teil des dunklen Gesöffs traf den Unterteller.
»Du missverstehst da etwas, Meg.« Klaus sah hinter seiner Zeitung hervor. »Ich habe nie angefangen in deinem Bett zu schlafen.«
Selbst ich war schockiert über diese Ehrlichkeit – und das sollte eine Menge heißen – aber das hier war wirklich alles andere als normal.
Meg entglitt die Kanne.
»Verdammt noch mal!«, fluchte sie, ohne auf die Kaffeelache am Boden zu achten. »Wir sind verheiratet!«
Wieder sah Klaus auf. Doch zu meiner Überraschung und wohl auch der von Tante Meg, ließ er sich nicht zu einer Entgegnung herab. Stattdessen sah er sie nur an. Meg hielt seinem Blick bemerkenswert lange stand, während David und ich vorgaben, nichts von dem stummen Duell zu bemerken.
Ich konnte es Klaus nicht einmal verübeln, dass er mit dem Streit dort weitermachte, wo er aufgehört hatte. Zum einen hatte ich es vor wenigen Stunden nicht viel anders gemacht, zum anderen hatte Tante Meg versucht ihn umzubringen. Unwillkürlich ballten sich meine Hände als ich an die Nacht dachte, in der ich die Eifersüchtige mit einem Messer bei dem schlafenden Klaus im Wohnzimmer erwischt hatte und ich ihn gewarnt hatte. Zumindest nahm ich an, dass es ein Messer gewesen war. Auf jeden Fall besaß unser Wohnzimmer seitdem eine stabile und abschließbare Tür.
Als Tante Meg schließlich aufgab, tauchte Klaus wieder in seine Zeitungswelt ab. Erst jetzt betrachtete ich ihn wirklich. Er war zauselig wie immer, mit seinen wilden, langen Haaren, den buschigen Augenbrauen und dem schrecklichen Bart. Seine Haare schafften es, nahezu das ganze Gesicht zu bedecken. Zusammen mit seinen viel zu dicken Anziehsachen wirkte er wie Rübezahl, der versuchte sich als Michelin-Männchen zu verkleiden. Kaum zu glauben, dass er einmal ein attraktiver Mann gewesen sein soll.
Ich hatte ihn trotzdem vermisst. Irgendwie.
»Zeitung?«, fragte er und sah mich mit einem wissenden Blick an, der mir zeigte, dass er meine prüfende Musterung bemerkt hatte.
»Gerne.«
»Wir müssen los, Liz.« David sah auf die Uhr und verdrehte die Augen. Normalerweise war er immer derjenige, der angetrieben werden musste, aber er hatte Recht.
»Nein.« Klaus legte die Zeitung zur Seite und stand auf. Seine Bewegungen waren sogar noch schneller, als ich sie in Erinnerung hatte und standen im krassen Gegensatz zu seiner fülligen Figur. »Liz und ich müssen noch etwas besprechen.«
Ich sah zu Boden und wusste auch ohne Blick in den Spiegel, dass sich meine Wangen gerötet hatten. Meine Schonzeit war um.
»Aber dann kommen wir zu spät«, protestierte David und zum ersten Mal war ich froh, dass er sich mir gegenüber seit Monaten wie eine Glucke benahm. Eine fürsorgliche, übertrieben eifersüchtige, absolut nervige Glucke. Was unser Liebes-Aus eigentlich noch viel seltsamer machte.
»Nein.« Klaus drückte ihm das von Tante Meg hastig gepackte Lunchpaket in die Hand. »Nur Liz kommt nicht pünktlich. Du fährst heute ohne sie.«
Obwohl ich es seit meiner »Rettung« aus »Saint Blocks« geahnt hatte, seit gestern Abend mehr denn je, fuhr mir der Schreck in die Glieder. Einen Moment lang blieb mir die Luft weg und ich hatte das
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