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Die Nachtwächter

Die Nachtwächter

Titel: Die Nachtwächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Ort, der von unten aus nicht zu sehen war und auch in der Dachlandschaft verborgen blieb. Der Assassine betrat ihn nicht sofort, sondern schlich erst um ihn herum, bewegte sich völlig geräuschlos von einem Aussichtspunkt zum nächsten.
    Ein Beobachter, der die Assassinengilde von Ankh-Morpork kannte, wäre von der
Unsichtbarkeit
dieser Gestalt erstaunt gewesen. Wenn sie sich bewegte, sah man Bewegung. Wenn sie verharrte, existierte sie nicht mehr. Der Beobachter hätte Magie vermutet, und Magie spielte tatsächlich eine Rolle, wenn auch eine indirekte. Neunzig Prozent der meisten Magie gehen auf das Wissen um eine zusätzliche Tatsache zurück.
    Schließlich schien der Assassine zufrieden zu sein und betrat den geschützten Ort. Er griff nach einem Beutel, der zwischen den rauchenden Schornsteinen lag, und leises Knistern verriet, dass er sich umzog.
    Etwa eine Minute später verließ er das Versteck, und jetzt war er sichtbar. Dem hypothetischen Beobachter wäre es noch immer schwer gefallen, ihn zu erkennen, als einen Schatten unter vielen, aber jetzt
existierte
er, auf andere Weise als vorher.
Vorher
war er so sichtbar gewesen wie der Wind.
    Leichtfüßig sprang er auf das Dach eines Schuppens hinab und dann auf die Straße, wo er in einen nahen Schatten trat. Dort verwandelte er sich erneut.
    Dies nahm nicht viel Zeit in Anspruch. Die praktische kleine Armbrust wurde auseinander genommen und in den einzelnen Taschen eines Samtbeutels verstaut, in dem sie garantiert nicht klimpern konnte. Die weichen Lederschuhe wurden gegen ein Paar Stiefel eingetauscht, das im Schatten gewartet hatte. Hände strichen die schwarze Kapuze zurück.
    Schließlich trat die Gestalt um eine Ecke und wartete.
    Eine Kutsche näherte sich mit brennenden Fackeln. Sie wurde kurz langsamer, und eine Tür öffnete und schloss sich.
    Der Assassine lehnte sich auf der Sitzbank zurück, als die Kutsche wieder schneller rollte.
    In ihrem Innern ließ eine kleine Laterne, von der ein
wenig
Licht ausging, eine Frau erkennen, die auf der anderen Seite saß. Als die Kutsche eine Straßenlaterne passierte, war violette Seide zu erahnen.
    »Du hast einiges versäumt«, sagte die Frau. Sie holte ein violettes Taschentuch hervor und hielt es vor das Gesicht des jungen Mannes. »Spuck«, befahl sie.
    Er kam der Aufforderung widerstrebend nach. Eine Hand wischte seine Wange ab und hielt das Taschentuch ins Licht. »Dunkelgrün«, sagte die Frau. »Seltsam. Soweit ich weiß, hast du bei der Prüfung in heimlichem Bewegen null Punkte erzielt.«
    »Darf ich fragen, wie du das herausgefunden hast, Madame?«
    »Oh, man hört das eine oder andere«, erwiderte Madame. »Man muss sich nur Geld ans Ohr halten.«
    »Nun, es stimmt«, sagte der Assassine.
    »Und warum?«
    »Der Prüfer glaubte, ich hätte Tricks angewandt, Madame.«
    »Und hast du das?«
    »Natürlich. Ich dachte, genau darum ginge es.«
    »Und er meint, du hättest nie seinen Unterricht besucht.«
    »Oh, ich bin immer da gewesen und habe sehr aufmerksam zugehört.«
    »Er meint, er hätte dich nie gesehen.«
    Havelock lächelte. »Und das bedeutet, Madame…?«
    Madame lachte. »Möchtest du ein Glas Sekt?« Ein leises Klirren deutete darauf hin, dass sich eine Flasche in einem Eiskübel bewegte.
    »Danke, nein, Madame.«
    »Wie du meinst. Ich genehmige mir eins. Und nun… Bitte erstatte mir Bericht.«
    »Ich kann kaum glauben, was ich gesehen habe. Ich hielt den Burschen zunächst für einen Schläger. Und das ist er auch. Man kann sehen, wie die Muskeln für ihn denken. Aber er gewinnt immer die Oberhand über sie! Ich glaube, ich habe ein Genie beobachtet, aber…«
    »Was?«
    »Er ist nur ein Feldwebel, Madame.«
    »Oberfeldwebel. Unterschätze ihn nicht. Ein sehr nützlicher Rang für den richtigen Mann. Die optimale Balance zwischen Macht und Verantwortung. Übrigens heißt es, dass er die Straße durch die Sohlen seiner Stiefel erkennen kann, und deshalb ist er darauf bedacht, dass sie dünn bleiben.«
    »Hm. Das Pflaster ist überall unterschiedlich, das stimmt, aber…«
    »Du bist immer so ernst mit diesen Dingen, Havelock. Ganz anders als dein verstorbener Vater. Denk… mythologisch. Er kann die Straße
erkennen.
Er hört ihre Stimme, misst ihre Temperatur und liest ihre Gedanken. Sie spricht durch seine Stiefel zu ihm. Polizisten sind genauso abergläubisch wie andere Leute. Heute Nacht sind alle anderen Wachhäuser angegriffen worden. Schwungs Leute haben es angestachelt, aber

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