Die Nachtwächter
Die ersten beiden sollen keine Zeit zum Nachdenken haben. Verstanden?«
Colon und Keule nickten.
»Mit dem Kleinen warten wir bis zum Schluss. Er soll
viel
Zeit haben…«
Frettchen dachte über seine Aussichten nach. Bedauerlicherweise dauerte das nicht lange.
Er hatte sich bereits mit den beiden anderen gestritten. Eine tolle Rettungsgruppe waren sie. Trugen nicht einmal die richtige Kleidung. Aber die Nachtnarren hatten sich nicht wie vorgesehen verhalten. Alle wussten, dass sie kniffen und zurückwichen. Niemand erwartete von ihnen, dass sie Widerstand leisteten oder
In
t
elligenz
bewiesen. Sie…
Die Haupttür öffnete sich.
»Zeit für Ingwerbier!«, rief jemand.
Ein Wächter lief mit mehreren Flaschen an den Zellen vorbei und verschwand in dem anderen Raum.
Es war nicht sehr hell im Zellenbereich. Frettchen sah, wie zwei Wächter die Tür nebenan öffneten und den mit Handschellen gefesselten Gefangenen in den Gang und um die Ecke zerrten.
Die Stimmen warfen ein dumpfes Echo zurück.
»Haltet ihn fest. Achtet auf die Beine!«
»Gut! Her mit der Flasche! Sie muss ordentlich geschüttelt werden, sonst klappt’s nicht!«
»Na schön, mein Freund. Möchtest du uns irgendetwas sagen? Wie wär’s mit deinem Namen? Nein? Nun, die Sache sieht so aus: Derzeit ist es uns gleich, ob du den Mund aufmachst oder nicht…«
Es knallte, es zischte, und dann… ein Schrei, eine Explosion der Agonie.
Als der Schrei verklungen war, hörte Frettchen, wie jemand sagte: »Schnell, der andere, bevor der Hauptmann was merkt.«
Er wich zurück, als die beiden Wächter zur nächsten Zelle eilten, den zappelnden Gefangenen herauszerrten und mit ihm in der Dunkelheit verschwanden.
»Na schön. Wir geben dir eine Chance. Willst du reden? Ja? Nein? Zu spät!«
Wieder der Knall, wieder das Zischen, und ein zweiter Schrei. Diesmal war er lauter und länger und endete mit einer Art Blubbern.
Frettchen kauerte an der Wand, die Finger im Mund.
Hinter der Ecke, im Licht einer Laterne, stieß Colon Mumm an, rümpfte die Nase und deutete nach unten.
Eine Ablaufrinne verband alle Zellen miteinander und ermöglichte so etwas wie primitive Hygiene. Ein dünnes Rinnsal kroch nun hindurch. Frettchen war nervös.
Hab dich, dachte Mumm. Aber gute Phantasie braucht noch etwas mehr Zeit. Er beugte sich vor, und zwei Köpfe neigten sich ihm erwartungsvoll entgegen.
»Habt ihr Jungs schon euren Urlaub gehabt?«, flüsterte er. Nach einigen Minuten, angefüllt mit sehr kleinem Smalltalk, stand Mumm auf, ging zur letzten Zelle, öffnete die Tür und packte Frettchen, der sich in eine Ecke zu quetschen versuchte.
»Nein! Bitte! Ich sage euch alles, was ihr wissen wollt!«, heulte der Mann.
»Wirklich?«, erwiderte Mumm. »Wie hoch ist die Umlaufgeschwindigkeit des Mondes?«
»Was?«
»Hast du etwa leichte Fragen erwartet?«, brummte Mumm und zog den Mann aus der Zelle. »Fred! Keule! Er will reden! Bringt ein Notizbuch mit!«
Es dauerte eine halbe Stunde. Fred Colon schrieb nicht sehr schnell. Als die schmerzlichen Geräusche seiner Bemühungen mit dem letzten Punkt verklangen, sagte Mumm: »Na schön, mein Lieber. Und nun schreibst du zum Schluss: Ich, Gerald Wenigstens, derzeit wohnhaft bei der Lieblichkeitsgesellschaft Einsamer Männerherzen, mache diese Aussage aus freiem Willen und nicht unter Zwang. Und dann unterschreibst du. Oder sonst. Kapiert?«
»Ja, Herr.«
Die Initialen GW waren in den Dolch graviert gewesen. Mumm glaubte ihnen. Im Lauf der Jahre hatte er viele Wenigstense kennen gelernt: Allein bei der Vorstellung, dass man ihnen etwas antun könnte, begannen sie vor Angst zu schlottern. Wer den Ingwerbier-Trick bei jemand anderem gesehen hatte, würde
alles
zugeben.
»Nun«, sagte Mumm fröhlich und stand auf, »besten Dank für die Zusammenarbeit. Sollen wir dich zur Ankertaugasse bringen?«
Frettchens Gesichtsausdruck sagte: »Häh?«
»Wir müssen deine Freunde absetzen«, fuhr Mumm fort und hob die Stimme ein wenig. »Tottsi und Maffer. Den Toten bringen wir zur Leichenhalle. Ein bisschen Papierkram für dich.« Er nickte Colon zu. »Eine Kopie der Aussage. Ein Totenschein des Arztes für den verstorbenen Herrn Geheimnisvoll, dessen Mörder wir bestimmt finden. Eine Bescheinigung des Doktors für die Salbe, mit der er Maffers Füße eingerieben hat. Oh… und eine Quittung für sechs Flaschen Ingwerbier.«
Er legte die Hand auf Frettchens Schulter und führte ihn langsam in den nächsten Keller, wo
Weitere Kostenlose Bücher