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Die Nachzüglerin (German Edition)

Die Nachzüglerin (German Edition)

Titel: Die Nachzüglerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Sondermann
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im hohen Gras in der Abendsonne. Frieda hielt
an jeder Hand ein Kind und war nicht anders gekleidet
als heute, nur ihre Haare hatte sie mit einem Stirnband
zusammengebunden. Auch ihr Mann hatte lange
Haare, er glich eher einem Spielmann als einem
Bräutigam.
"Es war nur eine Formsache, aber ich war stolz darauf,
eine verheiratete Frau zu sein. Schade, dass ich kein
Kind bekommen habe."
Ich war entsetzt. "Hast du etwa nicht verhütet? Wie
habt ihr überhaupt verhütet in der DDR?"
Frieda holte Luft.
"Es tut mir leid, Frieda. Aber ich weiß es wirklich
nicht."
Widerstrebend antwortete sie: "Ich habe schon viele
solcher Fragen beantworten müssen, und ich sage es
jedem, der es wissen will. Wir hatten Knetgummi und
auch andere Gummis. Sie wurden in verschiedenen
Sorten an den Kassen der Kaufhallen angeboten. Sie
hießen 'Mondos'. Die Pille gab es sogar kostenlos für
Mädchen und Frauen ab sechzehn Jahren."
Ich fühlte mich betrogen. "Uns haben sie in der Schule
gepredigt, dass man in der DDR nichts durfte und dass
es nichts zu kaufen gab."
"In der DDR war es aber auch keine Katastrophe,
schwanger zu werden. Kinder waren erwünscht."
Friedas Blick ging in die Weite, in die ich ihr nicht
folgen konnte.
"Und warum habt ihr euch getrennt?"
"Ich habe Henry im Hochbett mit einer anderen Frau
entdeckt."
Ich musste an Alexej und Anna denken.
"Was hast du getan?"
"Ich habe die beiden einfach rausgeschmissen."
"Das könnte ich nie." Ich bewunderte sie.
"Denkst du noch an ihn?"
Frieda wehrte ab: "Ich möchte nicht mehr darüber
sprechen. Es ist vorbei."
"Es ist aber wichtig, seine eigene Biografie zu kennen
und sie anderen Frauen zu erzählen."
"Es ist aber auch wichtig, die anderen Frauen in Ruhe
lassen zu können. Manchmal habe ich den Eindruck,
Westfrauen reden über Sex, und Ostfrauen haben ihn."
"Wie willst du dich sonst vom Heterosexismus
befreien?"
"Wenn ich wüsste, was das sein soll, könnte ich es
vielleicht loswerden." Frieda saß nicht mehr ganz so
gerade auf ihrem Stuhl wie sonst. Sie gähnte
demonstrativ. Ich merkte, dass sie müde war und in
Ruhe gelassen werden wollte, aber ich war jetzt in
Fahrt.
"Das ganze Denken, Fühlen und Handeln von Frauen
ist doch auf nichts als die Männer ausgerichtet. Was
sind wir denn anderes als deren Gebärmaschinen,
Arbeitskräfte und seelische Mülleimer? Ohne den
Zwang, sich auf Männer zu beziehen, könnte das
Patriarchat nicht bestehen. Ohne Männer kein
Patriarchat - ohne Geld kein Kapitalismus - ohne
Zyklus keine Regel. Verstehst du das? Von klein auf
sind wir darauf getrimmt worden. Wenn du es genau
nimmst, sind wir sogar zwangsheterosexuell."
    Frieda stellte sich vor den großen Spiegel, der in ihrem
Salon hing. Ich hatte mich extra so hingesetzt, dass ich
mich nicht darin sehen konnte. Sie zündete die beiden
Kerzen an, die auf der kleinen Kommode davor
standen. Ich bewunderte, wie sie es schaffte, auf die
weiten Ärmel ihres Kleides Acht zu geben. Ihre Hände
sahen so zart aus, dass ich meinte, das Kerzenlicht
würde durch sie hindurch schimmern. Ohne den Fluss
ihrer Bewegungen zu unterbrechen, knöpfte sie, als
gehörte es zum Anzünden der Kerzen dazu, die lange
Knopfreihe ihres Kleides auf. Sie näherte sich mir, bis
ich ihr Parfum riechen konnte, und tat, als wollte sie
mich küssen. Es fiel mir nicht leicht, über diesen Witz
zu lachen. Oder war es etwa keiner? Frieda lachte
jedenfalls nicht. Sie machte ihr Kleid wieder zu und
sagte
gar
nichts.
Alexej
schwieg,
um
die
Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, Frieda dagegen
hielt den Mund, um einen zum Nachdenken zu
bringen. Sie sollte tun, was sie wollte, wenn sie nur
wieder mit mir sprach. Endlich sagte sie: "Ich bin alles
Mögliche jenseits und über der Elbe darüber und
wieder zurück. Aber ich bin auf keinen Fall
zwangsheterosexuell. Verstehst du?"
KAPITEL 10
    Frieda brachte mich zum Arbeitsamt. "Du brauchst
einen Job", versicherte sie mir.
"Ich weiß nicht, ob ich überhaupt hier bleiben soll."
"Und wie willst du das herausfinden? Du erfährst es
bestimmt nicht, wenn du die ganze Zeit bei mir in der
Wohnung herumsitzt und traurig bist." Sie hatte Recht.
"Ich bin gern bei dir. Ich lerne so viel über euch.
Vielleicht willst du, dass ich mir eine andere Bleibe
suche. Das könnte ich gut verstehen."
Tagelang hatte ich sie mit meinen Fragen bombardiert:
Wie sie den Mauerfall erlebt hätte, welche Stadt im
Osten die schönste gewesen sei und warum gerade
Güstrow? Ich liebte ihre Wohnung in dem alten Haus
und den alten

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