Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nachzüglerin (German Edition)

Die Nachzüglerin (German Edition)

Titel: Die Nachzüglerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Sondermann
Vom Netzwerk:
jemand zuvor. Er stand
hinter mir und ließ die voll aufgedrehte Flamme seines
Feuerzeugs vor meinem Gesicht auflodern.
    So drehte ich mich um. Ich kannte ihn vom Sehen. Er
hatte einen Ring in seinem rechten Nasenflügel, der
rötlich geschwollen war, und trug ein Stirnband wie ein
Pirat. Mit seinem meerblau verschwommenen Blick
musterte er mich. "Brauchst du Feuer?"
Ich zündete meine Zigarette an. Als ich einen tiefen
Zug genommen hatte, nahm er sie mir aus der Hand
und trat sie aus. "Lass uns tanzen." Er fasste mich um
die Taille und heizte mit mir durch die Menge.
Obwohl ich Lust auf einen wilden Paartanz hatte,
konnte ich mich seinen Pogoschritten nicht anpassen.
Da er mich ziemlich grob herumschleuderte, schrie ich
"Hör auf! Lass mich los." Er war kein Politrocker aus
gutem Hause. Seine Kleider rochen süßlich und
abgestanden. Außerdem hatte er schon viel zu viel
getrunken. Als er mich gegen die Umstehenden stieß,
die sich verärgert nach uns umdrehten, verlor er selber
den Halt, und so schmetterte er mich auf den
Fußboden und fiel auf mich drauf. Im Fallen hatte er
Evas Kette zu fassen bekommen und zerrissen. Die
Münzen, Perlen und Natursteine rollten nun auf dem
Boden zwischen den Tanzenden herum. Es gelang mir,
eine paar Steine zu erwischen, ich ließ sie aber sofort
wieder los, weil ich bei dem Versuch, noch mehr zu
erwischen, bestimmt zertreten worden wäre.
    Alexej fasste meine Hand und half mir beim
Aufstehen. Er hatte uns schon eine Weile beobachtet.
"Ich habe dich gesucht. Doch ich konnte ja nicht
wissen, dass du dich hier amüsierst." Mein Tanzpartner
hatte sich auf einen Barhocker gesetzt und bemühte
sich, das Gleichgewicht zu halten.
"Mir geht es prima. Das siehst du doch."
"Ist das dein neuer Freund?"
"Warum willst du das wissen? Du willst doch sowieso
nicht mit mir zusammen sein."
Alexej antwortete nicht.
"Hast du eine Strafanzeige bekommen?"
Er sah mich nicht an.
"Möchtest du ein Bier?"
Er winkte ab. "Du solltest weniger trinken."
Ich ging zur Bar und kaufte mir
noch einen halben Liter. Als ich damit zurückkam, war
Alexej verschwunden.
KAPITEL 3
    Das Fakultätsgebäude war eine Bausünde. Darüber
konnte mich auch die Parole "Nieder mit dem
imperialistischen Scheißsystem" nicht hinwegtrösten,
die über den Haupteingang gesprüht worden war. Ich
suchte Alexej unter den Studenten, die in Grüppchen
auf dem Boden herumsaßen. In der Fabrik wurde
wenigstens gearbeitet. Hier aber balancierte man
Plastikbecher mit heißem Kaffee oder man wedelte
lachend über seinem aufgeschlagenen Spiralblock mit
dem Kugelschreiber herum. So stellte ich mir das
Leben in einer Sekte vor. In der Cafeteria roch es nach
Spülmittel. Ich kaufte mir ein Bier. Die Kassiererin
reichte mir schlecht gelaunt den Flaschenöffner. Ihre
Kolleginnen blickten alle griesgrämig vor sich hin. Die
"Party" war genauso wenig für sie arrangiert wie für
mich.
Während ich trank, starrte ich vor mich hin. Die
Umrisse der lebhaft diskutierenden Menschen um
mich herum nahm ich nur verschwommen wahr.
Meine Gedanken kreisten um Alexej. Ich wollte bei
ihm sein. Warum wollte er keine feste Freundin haben?
Die meisten seiner Politfreunde hielten das so. Es gab
zwar auch Liebespaare in der Szene, aber sie
knutschten nicht öffentlich rum. Sie gingen nicht Arm
in Arm. Sie sprachen nicht übereinander. Eher küssten
sich Frauen und gingen Arm in Arm. "Liebe und
Kraft" gab es nur für die "Gefangenen". Ich kannte
mich jetzt aus und wusste inzwischen, was ein
"konspiratives" Treffen war. Alexej hatte es mir
erklärt.
    Vielleicht war er radikal geworden und in den Untergrund gegangen? Vielleicht hatten sie ihn wieder
verhaftet und diesmal bei sich behalten? Es war meine
Pflicht, mich nach ihm zu erkundigen. Er hatte mir die
Telefonnummer seiner Eltern gegeben. Die Kassiererin schimpfte: "Dauernd kommt hier jemand zum
Geldwechseln. Ich bin doch kein Münzautomat."
    Seine Mutter nahm den Hörer ab. "Könnte ich bitte
mit Alexej sprechen?" Ich musste meine Frage
wiederholen, denn die jüngeren Geschwister von
Alexej stritten sich in unmittelbarer Nähe des
Telefons. Nachdem die Mutter sie verscheucht hatte,
konnte sie mir antworten.
"Das tut mir leid. Ich weiß nicht, wann Alexander
zurückkommt. Er ist mit seiner Seminargruppe zu
einem Sprachkurs nach Omsk gefahren."
Ich wusste, dass Omsk sibirisch weit weg war. Wäre er
nach San Francisco gegangen, hätte ich mich augenblicklich in ein Flugzeug setzen können, um ihn
aufzuspüren. Aber es war

Weitere Kostenlose Bücher