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Die Nachzüglerin (German Edition)

Die Nachzüglerin (German Edition)

Titel: Die Nachzüglerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Sondermann
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zu kaufen. Überall siehst du
die Leute Schlange stehen."
Holger ging zu seinem Hi-Fi-Turm und legte eine
Kassette von Wladimir Wysozkj auf, die Alexej
mitgebracht hatte. "Die Sprache klingt irgendwie hart",
sagte Holger. Alexej wandte sich zu mir: "Warum bist
du nicht nachgekommen?"
Ich konnte ihn nur anstaunen. Er sagte: "Ich habe dir
etwas mitgebracht", stand auf und wühlte in seinem
Rucksack herum. Ich wagte nicht, auf einen Ring oder
auf ein paar Ohrringe zu hoffen, aber das alte Stück
Zeitungspapier, das er mir stolz überreichte, ärgerte
mich. Es war ein Artikel über Deutschland. Auf dem
Bild waren ein paar vermummte Autonome zu sehen,
die mit Stangen auf einen VW-Bus eindroschen. Alexej
übersetzte mir die Bildunterschrift: "Vertreter der
westdeutschen Friedensbewegung kämpfen gegen die
Rüstungspolitik".
Holger und Paul fingen an zu kichern und schmissen
sich rücklings auf ihre Matratzen: "Auweia, deutsche
Friedensbewegung!"
"Das ist lustig", bedankte ich mich.
"Gefällt es dir nicht?"
"Ich werde es mir einrahmen."
Er nahm es mir aus der Hand. "Ich wollte es sowieso
noch kopieren, du brauchst es nicht zu behalten."
Er küsste mich auf den Mund und ich floss unter ihm
zusammen. Ich hörte Wladimir Wysozkj und das
bekiffte Gelächter von Holger und Paul und wünschte
beides zum Teufel.
Alexej sah mich an: "Ich möchte mit dir allein sein."
"Lass uns zu mir gehen", sagte ich und holte meine
Jacke. Es klingelte an der Tür. Alexej sah mich flehend
an: "Ich kann jetzt nicht abhauen, bitte bleibe
trotzdem da."
    Alle, die Alexej kannten, wollten ihn heute begrüßen.
Sie schleppten einen Bierkasten in die Wohnung und
umarmten ihn ausgiebig und waren neugierig auf seine
Reiseerlebnisse. Er wurde nicht müde, ihre Fragen zu
beantworten. Keiner war so interessiert wie Insa. Die
ganze Zeit blieb sie neben Alexej und mir stehen.
Wenn er erzählte, bewegte sich ihr Gesicht manchmal,
als würde ihr das Gesagte Schmerzen bereiten, weil sie
es so stark mitempfand. Ihre letzte Frage hatte weniger
mitfühlenden als Anspruch erhebenden Charakter.
"Hast du jemanden kennengelernt?", fragte Insa und
sah zur Abwechslung einmal mir ins Gesicht. Ich hob
die Augenbrauen, Alexej aber drehte sich weg und tat,
als habe er ihre Frage nicht gehört. Ich fühlte mich wie
eine Wohnungssuchende unter lauter Miethaien.
Alexej hielt sich neben mir, stand an mich gelehnt und
so oft wir uns ansahen, spürte ich, dass er eigentlich
nur für mich da sein wollte.
    "Ich habe noch mehr mitgebracht." Alexej überreichte
Holger eine ganze Sammlung Revolutionsmaterial.
Staunend entrollte dieser die riesigen, roten Plakate,
auf denen Lenin, der rote Stern und Hammer und
Sichel zu sehen waren. Er ließ sich alle Schriftzeichen
von Alexej übersetzen, "Oktober", "Revolution",
"Arbeiterpartei". Die gesamte Bruchbude beklebten
wir damit, sodass sie in rotem Glanz erstrahlte. Wir
tranken Hauptstadtwodka und übten "Nostrovje".
Alexej musste das Wort hundertmal wiederholen. Er
steckte den Anwesenden kleine rote Anstecksterne an,
auf denen CCCP in Goldlettern geschrieben stand. Als
Insa ihre bekam, küsste sie ihn zum Dank. Alexej
befreite sich augenblicklich und kam zu mir: "Lass uns
gehen, aber diesmal wirklich."
    Wir fuhren mit dem Fahrrad zu mir. Es war nicht sehr
weit, aber es dauerte uns zu lang. Um diese Zeit war
kaum noch ein Auto unterwegs. Wir fuhren um die
Wette über die roten Ampeln in der Mitte der Straße.
Mussten wir doch einmal stehen bleiben, nahm Alexej
meine Hand und drückte sie, bis es mir wehtat. Wir
zerrten uns in die Wohnung, rissen uns aneinander.
Wir waren übereinander, untereinander. Wir waren
zusammen. Ich küsste meinen eigenen Oberarm,
lachte und tauchte ein in ein Meer und bekam keine
Luft an seinem Mund. Ich machte mich los, nur um zu
sehen, ob er mich noch einmal auffangen würde, dann
fiel ich erneut in seine Arme, die mich hielten, hoben
und
wieder
losließen.
Wir
lagen
ineinander
geschlungen, gönnten uns kaum die Traumpausen,
weckten einander mit Zärtlichkeiten, als fürchteten
wir, durch den Schlaf wieder getrennt zu werden, der
uns endlich doch einholte.
    Ich hörte, dass Alexej aufstand und sich in der Küche
wusch. Dann kam er zurück. Ich tat, als ob ich schlief,
und wartete darauf, seine Haut an meiner zu spüren.
Er setzte sich nackt auf einen Stuhl. Als ich die Augen
öffnete, sah ich, wie ihm Tränen über das Gesicht
liefen. Ich suchte meine Kleider zusammen und zog
mich an.
"Was ist los mit dir, was hast

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