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Die Namenlose

Die Namenlose

Titel: Die Namenlose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Haensel
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und eine Nacht lang mochte ihr Schein den Tunnel erhellen, bevor die Dunkelheit wieder Einzug hielt. Bis dahin aber mußte man längst am Ziel sein.
*
    Mit eisigen Fingern griff der Tod nach ihr. Omera besaß nicht mehr die Kraft, sich dagegen zu wehren. Nur die Pflanzen, auf denen sie lag, verhinderten, daß sie unterging.
    Hoch über ihr trieben einige Wolken schnell dahin. Die Sonne stand steil und brannte erbarmungslos herab. In der Ferne erkannte Omera die Umrisse einer bewaldeten Insel, die ihr Freiheit versprach. Doch es war zu spät.
    Es fiel ihr schwer, sich zu bewegen, sie bekam kaum Luft. Kurz und hastig ging ihr Atem.
    Der auffrischende Wind netzte Omeras Gesicht mit einem feinen Sprühregen. Die Kühle tat ihr gut.
    Jeden Sinn für die Zeit hatte sie verloren - als das Firmament sich mit der Farbe des Blutes überzog, war ihr als treibe sie schon immer auf den Wellen dahin. Die Sonne wurde mehr und mehr zu einer düsteren Scheibe. Daß sie ihr Antlitz verhüllte, war ein böses Omen.
    Omera merkte nicht, daß sie aus dem Wachen hinüberglitt in jenes den Menschen unzugängliche Reich der Schatten, in dem die Seelen Sterbender Zuflucht fanden, bevor sie ihre Körper für immer verließen. So jedenfalls hieß es.
    Aber noch war ihr die Ruhe nicht gegönnt, die das Vergessen mit sich brachte. Gellende Pfeiftöne und die Berührung einer glitschigen, schuppigen Hand an ihren Schläfen holten sie unsanft zurück. Krallenbewehrte Finger öffneten ihre Lider.
    Der Anblick eines Tritonen brachte Omera zur Besinnung. Alles lag wie hinter wogenden Nebelschwaden verborgen, nur den kantigen Schädel mit den vorquellenden Fischaugen und entblößten Reißzähnen vermochte sie klar zu erkennen.
    Das Wesen aus der Tiefe stieß eine Reihe dumpfer Laute aus. Erst allmählich verstand die Frau, daß dies Worte ihrer eigenen Sprache waren. Sie hatte noch immer Schmerzen, aber der Okeazar strich ihr eine Salbe auf die Brust und linderte damit die größte Pein, nun fiel es ihr leichter, den Sinn des Gesagten aufzunehmen.
    »Du bist… geflohen. Der Zorn der Meermutter hat dich ereilt.«
    Tief wollte Omera einatmen, aber wie mit eisigen Fingern wühlte es in ihrem Brustkorb.
    »Du bist zum Opfer erwählt und kannst dich deiner Bestimmung nicht entziehen.«
    Der Zorn der Meermutter! Sie hatte ihn zu spüren bekommen, während sie schnell auftauchte. Schon dicht unter der Oberfläche war ihr gewesen, als würde das Blut in ihrem Körper sich ausdehnen.
    »Wo sind die anderen?«
    Omera floh vor der Erinnerung.
    »Wo?« Der Fischmensch ließ sie nicht zur Ruhe kommen.
    »Die Straße…«, keuchte sie schließlich. »Sie haben - in dem Hügel Zuflucht - gesucht.«
*
    »Hört ihr das?« Gorma war stehengeblieben und lauschte in die Dunkelheit, die sich vor ihnen erstreckte. Aber nur das Knistern der brennenden Fackeln war zu vernehmen.
    »Da ist nichts«, sagte Gerta nach einer Weile. »Du hast dich geirrt.«
    »Und doch glaubte ich, Geräusche gehört zu haben.«
    »Vielleicht ein Tier, ein fallender Stein, oder Wasser, das durch die Wände rinnt…«
    »Tritonen?« fragte Gerrek zögernd.
    »Nur den Rebellen von Ptaath ist dieser Schlupfwinkel bekannt.« Gerta winkte ab. »Von ihnen haben wir nichts zu befürchten.«
    »Ich denke, wir sollten trotzdem vorsichtiger sein«, riet Scida. »Irgendwann wird die Meermutter merken, daß wir uns der Tempelkuppel nähern, und ganz sicher nicht tatenlos zusehen.«
    Sie gingen weiter. Der Klang ihrer Schritte wurde von den Wänden zurückgeworfen und hallte dumpf durch den Tunnel.
    Hin und wieder stieß man auf Engstellen, an denen die Decke herabgestürzt war. Aber nie drang Wasser ein. Glitzernde Salzkristalle spiegelten den Fackelschein. Einmal entdeckte Gerrek eine Ansammlung mannshoher, spitz zulaufender Gebilde, die wie Palisaden aus dem Boden ragten. Als er eines von ihnen abbrach, um zu sehen, was dahinter lag, zersplitterte der Kristall in Hunderte winziger Bruchstücke, deren nadelscharfe Kanten in die Haut eindrangen. Der Beuteldrache hatte Glück, daß er sich schnell genug abwandte. Hinter ihm zerbarsten die anderen Säulen, und eine aufsteigende Wolke von Salz erfüllte die Luft, begleitet von einem hellen Klingen.
    Die beiden Fackeln waren nahezu abgebrannt. Gorma steckte eine dritte an. Während sie verharrte, hörte sie wieder Geräusche. Diesmal nahmen es auch die anderen wahr.
    Wenig später stießen sie auf die seltsamsten Gewächse, die sie jemals zu Gesicht bekommen

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