Die Nanokriege - Der Anschlag
Mensch einen beobachtete, konnte man damit umgehen, dass Mutter die innersten Geheimnisse eines jeden kannte. Aber jeder hatte Geheimnisse, seien es kleine oder große, von denen er nicht wollte, dass die ganze Welt sie erfuhr. Jeder leistete sich gelegentlich
einen geringfügigen Verstoß gegen die allgemeine Moral. Gemäß den vor dem Zusammenbruch gültigen Protokollen durfte Mutter nicht für die Überwachung von Verbrechen eingesetzt werden. Punktum. Um die kleine, aus Freiwilligen bestehende und chronisch überlastete Polizei dafür einzusetzen, einen Verbrecher aufzuspüren, ein Verbrechen zu verhindern oder die Gedanken eines Menschen zu lesen, brauchte es andere Methoden, andere Systeme, nicht etwa eine allgegenwärtige Mutter, die alles sah.
Wenn Paul die uneingeschränkte Kontrolle über das System übernommen hätte, würde Mutter sich ändern, würde nicht länger eine ferne, gleichgültige Gottheit sein und zu einer werden, die ständig im Leben eines jeden herumstocherte. So wie Paul handelte, würde Sie für extremen Zwang eingesetzt werden. Jetzt eine Person zu wandeln erforderte direktes, persönliches Handeln. Wenn Paul die Kontrolle über Mutter bekam, konnte er die gesamte menschliche Rasse in eine Serie separater spezialisierter Insekten verwandeln.
Es war ein gerechter Krieg, dachte sie, schaltete den Sichtschirm ab und wandte sich wieder den endlosen Pflichten der Vorsitzenden der Freiheitskoalition und der neu gekrönten »Königin« der Vereinigten Freien Staaten zu. Er hat ein gerechtes Ziel, er hat die Chance, dass wir ihn gewinnen, und die Gruppe, gegen die dieser Krieg geführt wird, ist ganz eindeutig böse, und wenn auch all das Böse, zumindest seitens Pauls, aus »guten« Absichten erwachsen ist.
Jetzt galt es nur noch, den Krieg zu gewinnen.
1
Der Reiter zügelte sein Pferd an einer Seitenstraße und blickte über die Felder, die sich nach Osten hin erstreckten.
Der Reiter war kräftig gebaut, saß aber trotz seiner Rüstung locker auf dem Kriegsross. Er trug einen grauen Umhang, der mit einer wie ein Adler geformten Bronzebrosche festgehalten war, segmentierte Panzerung, die sich wie die Platten auf dem Rücken eines Tausendfüßlers überlappten, stählerne Bein- und Armschienen und einen Kilt aus Lederstreifen mit aufgenieteten Eisenplatten. An der rechten Seite seines Sattels hing ein großer Helm mit einem schmalen T-förmigen Schlitz an der Vorderseite, an der linken ein großer Holzschild mit Eisenrand und in der Mitte einem Knauf in der Form eines Adlers. Rüstung, Armschienen, Helm und Schild zeigten zahlreiche Schlagspuren und Kerben, waren aber gepflegt und auf Hochglanz poliert.
Seine rechte Hand lag leicht auf seinem Bein, der mit einer Klammer versehene Haken, der ihm die linke Hand ersetzte, hielt die Zügel. Im Hinblick auf den technischen Charakter seines übrigen Geräts wirkte der Haken irgendwie unpassend; eine kompliziert gebogene Klammerprothese mit einer scharfen Klinge an der Innenseite. Die Prothese sah so aus, als wäre sie dafür gebaut, kleine Glieder abzuschneiden, und wahrscheinlich eignete sie sich geradezu ideal dazu, Flaschen zu öffnen. Unter seinem rechten Auge hatte er eine kleine Narbe, und sein rechter Arm, soweit er
nicht von der Schiene bedeckt war, zeigte eine Vielzahl kleinerer Schrammen.
Dann hingen am Sattel noch ein kurzes Schwert in einer Scheide und ein großes Bogenfutteral. Hinten am Sattel waren eine Deckenrolle, ein Köcher mit Pfeilen und ein Futtersack für das Pferd festgeschnallt. Trotz der Größe des Reiters und des beträchtlichen Gewichts des sonstigen Geräts schien dem Pferd die Last nichts auszumachen. Jetzt stampfte es, aber das schien eher Ungeduld als Ermüdung anzuzeigen. Der Reiter redete ihm zu, worauf es sich sofort wieder beruhigte.
Der Reiter war ebenso wie seine Rüstung und das Pferd mit einer dicken Staubschicht bedeckt.
Trotz der vielen Gebrauchsspuren, die die Rüstung zeigte, und seines verwitterten Aussehens war der Reiter ein noch junger Mann, gut aussehend mit kurzem, schwarzem Haar und grünen Augen. Seinen Gesichtszügen war das nicht anzusehen, aber er hatte gerade erst sein neunzehntes Lebensjahr vollendet. Und ein Großteil der Felder, über die sein Blick jetzt schweifte, gehörte ihm.
Aus dem blauen Himmel strahlte die Sonne warm auf einen späten Herbstnachmittag – Indian Summer. Auf der anderen Seite des Feldes bedienten zwei Männer eine Art Erntemaschine, einer lenkte sie, der
Weitere Kostenlose Bücher