Die Nanowichte
Binsenmatte. Tiemecx hockte auf seiner Stange, klatschte in die Flügelspitzen und applaudierte hämisch.
»Vielen Dank, daß du mich gewarnt hast!« fauchte Quintzi. Er stand auf, baute aus dem Badetuch ein rundes Nest, legte die Kugel hinein und stellte sie vorsichtig auf das Regalbrett. Der Papagei blickte ihn finster an und machte mit dem Schnabel unanständige Gesten. Quintzi wartete noch einen Moment und stand mit geöffneten Händen zum Einsatz bereit, falls das Kristall noch einmal auf Exkursion gehen wollte. Doch die Kugel blieb, wo sie war. Zum großen Verdruß von Tiemecx, der sich darüber ärgerte, daß man ihn ohne viel Federlesens von seinem angestammten Sonnenplätzchen vertrieb.
Kurz darauf setzte sich Quintzi, nachdem er sich schnell noch einen Morgenmantel übergeworfen hatte, nieder und starrte seine Neuerwerbung an. Er wußte alles über diese Kristallkugeln, mit denen man wahrsagen konnte. Die Geräte waren absolut einfach zu bedienen: Man sah in sie hinein, und schon tauchten die Bilder auf. Einfacher ging’s nicht. Warum hatte er nicht schon vor Jahren daran gedacht? Jeder Narr konnte so ein Ding bedienen. Außerdem war es lange nicht so nervend, wie das ständige Stimmengebrabbel im Kopf. Er lümmelte sich in seinen gemütlichen Korbsessel, visierte die Kugel an und wartete.
Nach zehn Minuten versuchte er es mit seltsam geheimnisvollen Handbewegungen und geistiger Sammlung – ein Vorhaben, dem das unentwegte belustigte Gekreisch eines gewissen knallbuntgefiederten Vogels nicht eben förderlich war.
Und wieder zwanzig Minuten später taten ihm seine arthritischen Schultern weh, und er gab auf. Murrend zog er die Bedienungsanleitung unter dem Tisch heraus und brummelte etwas von der Blödheit von Leuten, die Gerätschaften herstellten, die kein Mensch ohne derartige Gebrauchsanweisungen benutzen konnte. War das etwa die vielbeschworene Benutzerfreundlichkeit, hä?
Und während all dem hielt sich ein gewisser Papagei mit beiden Flügeln den Schnabel zu und versuchte vergeblich, die immer wieder auftretenden Kicheranfälle zu unterdrücken.
Brummelnd und murrend schlug Quintzi des Handbuch auf und warf einen finsteren Blick auf die erste Seite.
»Herzlichen Glückwunsch! Sie haben sich für Haruspex, die tragbare 8-Zoll-Colorkristallkugel entschieden …«
»Das weiß ich!« schnauzte Quintzi das Manual an. »Spar dir die Glückwünsche und sag mir lieber, was ich machen soll!« Er blätterte ein paar Seiten weiter.
»…ein Gerät der Firma O’Racle Systems Inc., das unter allen vergleichbaren Geräten Bilder mit der größten Pixel …«
»Pixel-Schnixel! Ich will wissen, wo man das verdammte Ding einschaltet!« Wieder wurden mehrere Seiten überblättert.
»Wenn Sie die Zusatzfunktion Around Sound Sub-Bass Enhancer (Baßverstärker) verwenden möchten, empfiehlt Ihnen O’Racle Systems Inc., Ihr Gerät nur dann in Betrieb zu nehmen, wenn Sie davon ausgehen können, daß Ihr Fußboden wenigstens drei Fuß dick ist. Sie können damit unnötige Fundamentschäden vermei …«
»Wie man einschaltet, will ich wissen!« schrie Quintzi. Tiemecx hatte offensichtlich gewaltigen Spaß an dieser Szene: Der Vogel bekam einen Lachkrampf und fiel von der Stange.
Der gealterte Exprophet überschlug weitere sechs Seiten (Eigenwerbung und Selbstbeweihräucherung von O’Racle Systems Inc., Produktbeschreibungen, Geschäftsadressen für Zubehör und Nachrüstung) und stieß schließlich auf folgende Kapitelüberschrift: »So installieren Sie Haruspex, die tragbare 8-Zoll-Colorkristallkugel. Machen Sie sich ein Bild!«
»Na endlich! Da isses!« schrie er und las aufgeregt weiter.
Und tatsächlich: Da war es. Alles, was man wissen mußte, wenn man den reißenden Strom der Zukunftsvisionen anzapfen wollte. Vierundzwanzig leichtverständliche Schaubildchen zeigten diverse geeignete Plätze für die Positionierung von Glaskugeln – Quintzi war fast ein wenig stolz, als er feststellte, daß Regale als Spitzenplätze galten. Dann folgte eine ganze Seite mit Hinweisen, was man tun oder besser nicht tun sollte – es war eine Fundgrube nützlicher Tips, die unter anderem die dringende Empfehlung enthielt, die Kugel nicht fallen zu lassen und sie von nistenden und brütenden Straußen fernzuhalten. Und ganz zum Schluß fand er dann endlich die Stelle, nach der er so verzweifelt gesucht hatte. Er las sie einmal … las sie verwirrt ein zweites Mal: »Wenn Sie alle vorab erforderlichen Kontrollschritte
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