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Die Narrenburg

Die Narrenburg

Titel: Die Narrenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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abgegangen; - er hat sie lieb gehabt, fort und fort, wie der Adler sein Junges, aber da war sie weiß, ehe sie gestorben ist, so weiß war sie, wie die Lilien, die unten im Sumpfe wachsen, und die Häupter auf das schwarze Wasser legen - - und mich hat er oft angeschaut mit den glänzenden Augen - und da er schon den langen, weißen Bart hatte, hat er mich angeschaut mit den schwarzen Augen, wie Nachts die Eule blicket; - aber ich habe die Zähne meines Mundes zusammengeschlossen wie Eisen, und kein Wort durch sie herausgelassen, - und dann hat er mich auch wieder lieb gehabt, und da er unten am Häuschen saß, und die Sonne schien, da hat er meine Hand genommen, und sie gestreichelt, und gesagt: »lieber Ruprecht, lieber Ruprecht!« denn seht - hiebei neigte sich der Greis gegen Heinrich's Ohr, und flüsterte mit bedeutsamem Lächeln - er war seine letzten Tage blöde und wahnsinnig.«
    Die zwei Männer schauderte es ins tiefste Mark der Seele und Heinrich trat einige Schritte weg, aber der wahnwitzige Kastellan folgte ihm sachte mit glänzenden Augen: »Er hätte euch über den Stein hinabgestürzt - ihr seid aber auch viel schöner, als er es je gewesen - ich habe ihn recht gut gesehen, wie er bei Prokopus Thurme stand, es war Nacht, und sein schwarzer Mantel war so finster, wie die Wolken, die draußen wehten und Blitze zogen - der Seidenmantel knisterte - und es war eine so heiße Nacht, wißt ihr? und sie dauerte so lange, als wie sonst drei, aber endlich wurde es Morgen und klar, ihr waret fort - - es ist sehr gut, daß ihr fort waret - - und es kamen so schwere, so schwere Zeiten - ich habe euch gesagt, daß sie wie eine Lilie weiß war, und noch kleiner, als sonst immer, und alle sind gestorben, die arme Chelion starb, mein Weib Bertha starb, ihr starbet, und wie er das Schloß angezündet hatte, und unten im Häuschen auch todt lag, lange gestreckt, den weißen Bart, wie ein zerfetztes Banner haltend, da kam ihr Sohn, der arme Christoph - seht ihr ihn daneben - aber er ist auch todt, und Narcissa - und Alle sind sie todt - - ...«
    Unwillkührlich sahen die Freunde auf das Nebenbild der Chelion, und wirklich stand ein junger Mann darauf, ihr vollendetes Abbild - wie sie, so seltsam und schön, aber mit trüben, schwermuthsvollen Blicken. Dieser war also der letzte Besitzer des Berges gewesen.
    Zu einer andern Zeit und in anderer Lage würden sie lange vor diesen merkwürdigen Bildern und Naturspielen gestanden sein, aber in diesem Augenblicke war es ihnen nicht möglich; denn der alte Mann neben ihnen war von einer so furchtbaren Erregung gefaßt, daß er bei seinen letzten Worten in ein krampfhaftes Weinen ausbrach, die Hände vor das Gesicht schlug, und die überreichlichen Tropfen zwischen den dürren, faltigen Fingern hervorquellen ließ, so daß sein ganzer Riesenbau vor Schmerz zitterte, wie der See schwankt, wenn ein ferner Sturm tobt. Das Herz der Freunde that einen Blick in die Schlucht einer verworrenen, vielleicht grausenhaften That - sie konnten nicht forschen, und wollten es nicht; denn bereits funkelte der Wahnsinn, wie ein düstres Nordlicht, an allen Punkten des unglücklichen Wesens vor ihnen, und sie mochten ihn nicht steigern, daß er nicht etwa überschlage und dem, wenn auch uralten, Körper Riesenkräfte gebe, und zu Entsetzlichem treibe - auch hat das Menschenherz eine natürliche Scheu, den dunklen Spuren eines Andern nachzugehen, auf denen es zu Schuld und Unglück wandelte. Deßhalb schwiegen sie Beide tief und ernst, selbst gegen einander, und blickten nur noch trübe auf die beiden Bilder: Mutter und Sohn. Chelion war schön, wie ein reiner Engel, und Christoph war es, wie ein gefallener. Neben ihm war kein Bild mehr, sondern die lange Reihe leerer Nischen für Alle noch Ungebornen, als hätte der Gründer auf eine Ewigkeit seines Geschlechtes gerechnet.
    Die Freunde wandten sich nun zum Fortgehen. Ohnehin war ihnen die Luft dieses Saales drückend geworden. Sie wollten unbeachtet an Rupprecht vorübergehen, überzeugt, daß er ihnen, sich sänftigend, stille folgen würde. Aber wie er ihre Absicht errieth, ließ er plötzlich die Hände von seinem Gesichte fallen, und statt der vorigen Erregung sahen sie nun das äußerste Erstaunen darinnen, so, daß ihm sogar vor Schreck die Thränen stocken geblieben, und wie gefrorne Tropfen in dem weißen Reife seines Bartes standen: »Aber wie seid ihr denn?« rief er mit heftiger Stimme, »wozu habe ich euch denn hergeführt? wozu seid

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