Die narzisstische Gesellschaft
Akzeptanz der Verschiedenheit, durch das Wissen, dass kein Mensch für den anderen wirklich (im primären narzisstischen Sinn) da sein kann. Gute Partnerschaft entsteht durch Verhandeln, um Übereinstimmung herzustellen, Kompromisse zu finden und eigenständiges Handeln zu akzeptieren und zu verantworten.
Partnerschaft ist zur Ablenkung von der eigentlichen narzisstischen Not insofern hervorragend geeignet, weil es ein Leichtes ist, am Partner zu leiden. Kein Partner wird je alle Erwartungen und Wünsche erfüllen können. Nur die gute Mutter wäre dazu annähernd in der Lage gewesen, etwa auch dadurch, dass sie ihre Begrenzung dem Kind so vermittelt haben sollte, dass sich das Kind nicht schuldig fühlen muss, wenn die Mütterlichkeit begrenzt oder erschöpft ist – also ohne dessen narzisstische Verletzung zu riskieren. Der entscheidende Unterschied liegt darin, ob ein Kind unvermeidliche Begrenzung an Mütterlichkeit erfahren und emotional zu verarbeiten gelernt hat oder ob es als Verursacher der mütterlichen Probleme gebrandmarkt wurde.
Kein Partner der Welt, und sei er noch so mütterlich, kann indessen den frühen Muttermangel beseitigen. Wer das nicht verstehen oder einsehen will, findet immer genügend Gründe, am Partner zu leiden, weil er eben nicht so ist, wie er eigentlich sein sollte. Dazu kommt die sehr hartnäckige Überzeugung, dass sich der Partner doch ändern könnte und müsste, damit alles gut würde. Da es aber nicht mehr wirklich gut werden kann – im Sinne der Auflösung des Muttermangels –, steht der illusorische Wunsch, der Partner möge sich ändern, im Dienst der narzisstischen Ablenkung. «Du bist schuld, dass ich nicht glücklich werden kann!», ist die tragische Verschiebung eines erlittenen Muttermangels in die Partnerschaft.
In jeder Partnerschaft ist ein gutes Zusammenleben möglich, wenn die eigene Begrenzung und diejenige des Partners, wenn Verschiedenheit und Unveränderbarkeit angenommen werden. Dann bleibt immer noch ein Teil erfüllender Zweisamkeit übrig, der ansonsten droht, im chronischen Streit verloren zu gehen.
So ist Partnerschaft im Guten wie im Bösen eine wichtige Institution zur narzisstischen Kompensation und Ablenkung. Die erreichbare liebevolle Zuwendung, lustvolle Zweisamkeit und eine schützend-stabilisierende Beziehung ermöglichen narzisstische Kompensation. Die miteinander ausgetragenen Kämpfe und Konflikte sowie die wechselseitigen Enttäuschungen und Kränkungen bieten so viel und so oft Ablenkung, wie man sie braucht.
Anzustreben ist eine Partnerschaft, in der verstanden und akzeptiert wird, dass frühe narzisstische Defizite von keinem Partner ungeschehen gemacht werden können, dass also Mangelschmerz bleibt und immer mal wieder zugelassen werden muss. Dann können sich beide Partner durch begrenzte und immer wieder ausgehandelte Zuwendung wunderbar gegenseitig stabilisieren. Dabei sind vier Aussagen wichtig:
Ich habe noch etwas für dich (welche Art Zuwendung auch immer).
Mehr habe ich zurzeit für dich nicht zur Verfügung.
Ich brauche noch etwas von dir (welche Art Zuwendung auch immer).
Jetzt ist es genug, mehr kann ich nicht annehmen oder verkraften.
Elternschaft
ist im höchsten Maß gefährdet, zur narzisstischen Aufwertung unter Missbrauch der Kinder ausgestaltet zu werden. Kinder sind unbedingt auf ihre Eltern angewiesen und sie wollen lieben – das ist ein Grundbedürfnis. So werden sie ihre Eltern begehren und verehren – zunächst völlig unabhängig davon, wie kompetent die Eltern ihre Funktion erfüllen oder wie gut oder böse sie sind. Diese positive Einstellung und Erwartung der Kinder gegenüber ihren Eltern ist naturgegeben. Noch nie zuvor dürften die meisten Eltern sich so geliebt, gebraucht und verehrt erlebt haben wie durch ihre Kinder. Dies brauchen viele Eltern; deshalb machen sie ihre Kinder von sich abhängig in der Erwartung, ein Leben lang wichtig zu bleiben, gebraucht und verehrt, mit Aufmerksamkeit und Zuwendung versorgt zu werden. Diesen Eltern fällt es enorm schwer, ihre Kinder loszulassen, deren Ablösung und Autonomie gelten zu lassen. Kinder werden auf diese Weise auf die Befriedigung elterlicher Bedürfnisse abgerichtet, was im Grunde genommen widernatürlich ist. Die Eltern sind zur Liebe ihrer Kinder verpflichtet, nicht umgekehrt. Kinder wollen lieben und brauchen Eltern, die das aushalten und nicht missbrauchen.
Das Liebesbedürfnis der Kinder – geliebt zu werden und lieben zu können –
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