Die narzisstische Gesellschaft
Kompensationsmöglichkeiten bieten auch intensiv gepflegte Hobbys, zumal wenn sie Interessen befriedigen und Freude bringen. Im Grunde genommen muss vor allem darauf geachtet werden, Arbeit, Freizeitaktivitäten, Hobbys und soziale Kontakte nicht in Wettstreit münden zu lassen, also nicht ein großartiges Ziel und ein besonderes Produkt anzustreben, sondern die narzisstischen Bedürfnisse im Tun, im Kontakt, im Austausch, in der Neugier und im entwickelten Interesse an Inhalten und in der Ästhetik zu befriedigen. Sich etwa künstlerisch oder musisch auszudrücken ist besser, als großartige Erlebnisse anzustreben. In einer Gruppe, einer Mannschaft oder in einem Verein aktiv zu sein ist besser, als allein egoistische Ziele zu verfolgen. Freude an sportlicher Betätigung ist wesentlich besser als Stress im Leistungssport.
Einen Boxsack zu benutzen ist besser, als Streit mit dem Partner oder Nachbarn anzuzetteln. Die individuelle Lebensart zu optimieren, indem man sich um gute Ernährung, Bewegung und Beziehungskultur bemüht, ist besser, als große Reden zu schwingen. Eine Elternschule zu besuchen und ein soziales Netzwerk zur Betreuung von Kindern aufzubauen ist besser, als ehrgeizige Karriereziele zu verfolgen. Beziehungskultur einzuüben (sich internal mitzuteilen und zuzuhören, verstehen zu wollen und nicht zu belehren) ist besser, als geltungssüchtig in den politischen Kampf zu ziehen.
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13 Männlicher und weiblicher Narzissmus
Bereits in der frühen Entwicklungsphase können geschlechtsbezogene Unterschiede bei der Annahme eines Kindes eine Rolle spielen. Bringt etwa eine Frau mit negativen Männererfahrungen oder eine von ihrem Partner verlassene schwangere Frau einen Jungen zur Welt, dann können Vorurteile gegenüber dem anderen Geschlecht dazu führen, dass das Kind von Anfang an Ablehnung zu spüren bekommt. Von jungen Müttern, die gegenüber dem männlichen Geschlecht Gefühle der Unsicherheit, Unerfahrenheit oder Minderwertigkeit hegen, habe ich häufig erfahren, dass sie verunsichert und irritiert davon waren, einen Jungen geboren zu haben.
Die Vorstellung, als Frau einen Jungen zur Welt zu bringen, ist für manche verwirrend, für andere hingegen faszinierend. In den Umgang der Mutter mit einem Jungen werden stets ihre Einstellungen und Erfahrungen gegenüber Männern einfließen und unbewusst den Selbstwert des Sohnes beeinflussen. In einem Mädchen dagegen kann sich die Mutter leichter selbst spiegeln und, je nachdem, das Kind nach ihrem Bilde formen oder ihm die eigenen schlechten Erfahrungen ersparen wollen. Die Zuwendung zum Mädchen ist dann aber nicht kindbezogen, sondern seitens der Mutter «selbstobjekthaft», mit der Folge, dass sich das Mädchen nicht um seiner selbst willen geliebt erfährt, sondern nur, wenn es dem Bild der Mutter von Weiblichkeit entspricht. Nicht selten erlebt eine Mutter ihre Tochter auch als Konkurrentin, was Jugend, Vitalität, Schönheit und Liebreiz anbelangt. Das mag ihr anfangs gar nicht bewusst sein und erst im Laufe der weiteren Entwicklung für sie spürbar werden, aber es beeinflusst dennoch von Anfang an als ein narzisstisches Defizit der Mutter die Einstellung zur Tochter. So kann sich das Selbstwertproblem der Mutter «vererben», ohne dass dafür Gene zuständig wären.
Die Einstellung der Eltern zum Geschlecht ihres Kindes ist eine wesentliche Quelle für einen geschlechtsbezogenen Narzissmus. Dabei hat die Mutter eine größere Verantwortung, weil sie auch in den prägenden ersten Monaten und – schon pränatal, wenn sie bereits das Geschlecht des Fötus kennt – in besonderer Weise den primären Narzissmus des Kindes bestätigen oder verunsichern kann. Der Vater kann alles noch verschlimmern, indem er das Geschlecht eines Kindes ablehnt, was häufiger der Fall ist, wenn er keinen Jungen, sondern ein Mädchen bekommt. Mädchen, die eigentlich ein Junge werden sollten, gibt es viele; oftmals leiden sie an einer geschlechtsbezogenen narzisstischen Verunsicherung oder einer Selbstabwertung ihrer Geschlechterrolle. Sie fühlen sich dann gedrängt, sich wie Jungen zu verhalten und zu kleiden, lieber mit den Jungen als mit den Mädchen zu spielen und mitunter sich noch «männlicher» zu gebärden als die gleichaltrigen «Brüder». Im Laufe der Entwicklung kann der Vater die narzisstische Geschlechtsverwirrung noch verstärken, wenn er die von der Mutter wenig geliebte Tochter besonders mag und sie zu einer Vatertochter erzieht. Später
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