Die narzisstische Gesellschaft
ist für viele Eltern jedoch geradezu
das
Problem ihrer Elternschaft. Wenn sie selbst nicht ausreichend Liebe erfahren haben, können sie diese auch nicht weitergeben, ja fühlen sich sogar von der Liebe ihrer Kinder bedroht und belästigt. Diese Absurdität wird nur verständlich, wenn man realisiert, dass Liebesangebote den erlittenen Liebesmangel in spezifischer Weise schmerzvoll beleben. Das Gute droht auf diese Weise wieder in den Schmerz zu führen, mit der Folge, dass der Betreffende das zu verhindern versucht. Das Erfahrungs- und Weltbild der Kinder wird dadurch auf Liebesmangel programmiert. So bekommen auch spätere Liebesangebote in Partnerschaft, Freundschaft oder durch professionelle Helfer Bedrohungscharakter; Beziehungen können deshalb nur distanziert gelebt werden.
Manche Psychotherapeuten oder Seelsorger glauben, mit ihrer Liebe heilen zu können – ohne die schmerzvolle Verarbeitung des erlittenen Liebesmangels. Doch das bringt nur so lange scheinbare (kompensatorische!) Erfolge, als die Zuwendung nicht wirklich echt ist, sondern vor allem der narzisstischen Selbstbestätigung (den Gutmenschgefühlen des Helfers) dient. Von vielen Patienten oder Klienten wird das gerne angenommen; es kann sie vorübergehend durchaus stabilisieren, aber sie erlangen dadurch weder Einsicht noch Möglichkeiten für eine wirkliche Reifung. Für einige mag dies das Maximum des Erreichbaren darstellen, für andere hingegen bedeutet es eine Behinderung ihrer Entwicklung, die Chronifizierung ihrer Abwehr und mithin auch ihrer Störung.
Der narzisstische Missbrauch von Kindern durch ihre Eltern betrifft natürlich nicht nur die Aufwertung, die Eltern durch Kinder erfahren, und die Erziehungsaufgaben, die ihnen Orientierung und Sinn vermitteln, sondern auch die fast unbegrenzte Möglichkeit von Eltern, ihren narzisstischen Frust an den Kindern abzureagieren. Da wird erzogen, ermahnt, getadelt, bestraft, eingeengt und verboten, gefordert und entwertet. An Kindern kann man immer und ständig etwas finden, was zur affektiven Abfuhr geeignet ist. Selbst die Sorge und Angst um Kinder, der Wunsch nach ihrer erfolgreichen Entwicklung, eignen sich zur narzisstischen Ablenkung. Den Kindern soll es besser gehen, sie sollen nicht das gleiche Schicksal erleiden wie die Eltern, sie sollen es zu etwas bringen und erfolgreich sein: Kinder werden mit eigenen Wünschen und Erwartungen projektiv beladen und gar nicht selten mit «gut gemeinten» Ratschlägen und Erwartungen gequält und manipuliert. Auf diese Weise werden sie zu permanent verfügbaren ehrgeizigen Selbstobjekten, Sorgenkindern oder Prügelknaben.
Die Hilfsbedürftigkeit und relative Wehrlosigkeit von Kindern, ihr Wunsch nach Anerkennung und ihre Verfügbarkeit machen sie zu den häufigsten Opfern narzisstischer Kompensation und Ablenkung (Abreaktion) ihrer Eltern und Erzieher. Wenn die Kinder so alt sind, dass sie sich verweigern und entziehen können, und vor allem dann, wenn sie aus dem Haus gehen, geraten manche Eltern in schwerste Krisen, weil ihnen eine wesentliche narzisstische Regulation genommen wird. Das Ende der Elternschaft sollte frühzeitig bedacht und rechtzeitig akzeptiert werden; an die Stelle der bisherigen Elternschaft müssen neue Möglichkeiten der narzisstischen Kompensation und Ablenkung treten. Das ist für das eigene Wohl, vor allem aber für das Wohlergehen der Kinder enorm wichtig, denen es möglich sein sollte, sich ohne Schuldgefühle vom Elternhaus zu lösen.
Im besonderen Maße zur narzisstischen Kompensation und Ablenkung eignet sich natürlich auch
Sexualität
. Sich mit sexuellen Leistungen zu brüsten, beginnt bereits im Jugendalter: wie oft man schon Sex hatte, wie viele Partner man aufzählen kann, wie oft man kommen kann, welche Praktiken man schon kennengelernt hat – und unter Jungen die narzisstische Bewertung nach der Schwanzgröße mit der irrtümlichen Annahme, groß sei wichtig, begehrt und ein Zeichen für besondere Männlichkeit. Auf keinem Gebiet wird wohl so viel gelogen, geprahlt und verschwiegen wie auf dem der Sexualität. Unerfahrenheit, Unsicherheit und Scham in Verbindung mit falschen Vorstellungen und immer noch wirksamen Tabus verhindern bis heute eine offene und ehrliche Kommunikation. Die Angst der Männer vor Impotenz und die Unsicherheit der Frauen, gut zu einem Orgasmus kommen zu können, sind wesentlich narzisstisch begründet.
Erektions- und Orgasmusschwierigkeiten sind ganz normale Vorgänge, vielfach
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