Die Naschmarkt-Morde
ihre Anfälle von Verschwendungssucht, die sie zu einer gern gesehenen Kundin in den teuersten Wiener Innenstadtgeschäften machten. Höhepunkt all dieser Exzentrizitäten war aber die unsägliche Liaison mit einem Naschmarkt-Faktotum. Dafür hatte selbst die liebe Tante Burgi wenig Verständnis.
Und genau darüber entspann sich eine Diskussion zwischen Tante und Nichte, nachdem Letztere nachmittags, in einen seidenen Morgenmantel gehüllt, im Salon erschienen war. Sie lümmelte sich auf die Couch, nahm ein Stück Teebäckerei des k. u. k. Hofzuckerbäckers Heiner und stopfte es – nicht ohne dabei ziemlich viele Bröseln zu machen – in den Mund. Tante Burgi ließ der Nichte Tee bringen.
»Kind, ich habe gehört, dass du ein Brieferl bekommen hast …«
Als Reaktion wurde ein Schnoferl 20 gezogen und geantwortet: »Ah so? Darf ich keine Briefe mehr bekommen? Na, wenn das so ist, muss ich mir in Zukunft ein Postfach mieten …«
»Aber Kind, sei nicht albern … Du kannst Briefe bekommen, von wem du willst … nur … sollten es keine Briefe von Leuten sein, mit denen sich der Umgang nicht schickt.«
Die Antwort war ein Lachen sowie die Feststellung: »Liebe Tante, ich verkehre nur in den allerbesten Kreisen. Gestern Abend zum Beispiel ist mir Adalbert Graf Sternberg vorgestellt worden. Ein interessanter Mann … Nicht mehr ganz jung, aber ungeheuer charmant. Das war ein köstlicher Abend mit dem. Zuerst hat er mich auf ein Champagnersouper ausgeführt, und nachher waren wir in einem Varieté. Ich sag Ihnen, das war eine superbe Nacht.«
»Der Graf Sternberg hätte dir das Brieferl von seinem Diener oder von einem Dienstmann überbringen lassen. Keinesfalls aber von einem Dienstmädel. Das ist nicht sein Stil.«
Die Gräfin nahm einen großen Schluck Tee, stellte die Schale mit Bedacht auf die Untertasse, leckte sich die Lippen, sah ihrer Tante in die Augen und sagte mit leiser Stimme: »Stimmt. Das Brieferl war nicht von ihm. Das war vom Stani. Den habe ich gestern Nacht versetzt … Und das hat ihn in der Seele getroffen. Deswegen hat er mir auch gleich etwas schreiben müssen, der Narr.«
»Kinderl, Kinderl, was machst du nur für Sachen? Wie kannst du diese Mesalliance immer noch weiterverfolgen? Letzte Woche hast du mir hoch und heilig versprochen, dass damit endgültig Schluss ist. Das ist doch kein Umgang für dich …«
»Wie recht Sie haben. Tante Burgi, seit gestern Abend bin ich bis über beide Ohren in den Grafen Sternberg verliebt. Das ist ein Mannsbild! Ich sag Ihnen …«
Die Begeisterung der Tante hielt sich in Grenzen. Schließlich war stadtbekannt, dass Adalbert Graf Sternberg ein Charmeur, Champagniseur und Weiberheld war, der, je älter er wurde, umso jüngere Geliebte bevorzugte. Zusätzlich war er ein manischer Spieler, der, obgleich er kein Stabsoffizier war, die sprichwörtlichen Schulden eines solchen hatte. Andererseits stammte er aus einer uralten Familie, die beträchtliche Güter in Böhmen besaß. Insofern war Sternberg immerhin ein Fortschritt.
»Liebe Tante Burgi, ich verspreche Ihnen: Heut Abend treffe ich den Stani zum letzten Mal und mach reinen Tisch. Dann ist die Sache ein für alle Mal ausgestanden. Und Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen.«
Während der letzten Worte stand sie auf, ging zu ihrer Tante, drückte ihr einen feuchten, mit Bäckereibröseln und Tee vermischten Kuss auf die Wange und verließ frohgemut den Salon.
X.
Spätnachmittägliche Sonnenstrahlen tanzten über den Herd 21 und über unzählige Kochtöpfe, Häferln, Kasserollen, Pfannen, Siebe, Reibeisen, Schöpf- und Schaumlöffel, Schneeruten, Mörser, Stößel, Messer und Schneeruten. Da das Doppelfenster nach Westen hinausging, fiel nachmittags Licht in die Küche der Familie Schmerda. Mit dem Licht kam aber auch bedenklich viel Wärme herein, sodass Mizzi in der wärmeren Jahreszeit die im Fenster gelagerten Sachen nach hinten in die kühle, fensterlose Speisekammer tragen musste. In dem sonnigen Ambiente der Küche werkten die Litzelsbergerin und das Dienstmädel an der Zubereitung des Abendessens. Auf dem Speiseplan stand eine Hirnconsommésuppe mit gebackenen Erbsen und danach Krebskrapfen.
Wie man sieht, wurde in diesem Haushalt auf eine exquisite Küche großen Wert gelegt. Angesprochen auf dieses Thema, pflegte Hofrat Schmerda zu antworten: »Das Leben ist viel zu kurz, um sich irgendetwas vom Munde abzusparen. Außerdem lege ich mein Geld lieber in Viktualien als in Aktien
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