Die Nebel von Avalon
nur undeutlich. Die Prüfung galt nicht ihr, sondern dem Mann an ihrer Seite. Sie glaubte, Rufe und Jagdhörner zu hören. Jagten Reiter durch die Luft, oder ließen ihre Hufe den Waldboden erzittern? Ihre Gedanken erstarben im übergroßen Lärm. Sie wußte, Accolon war nicht mehr bei ihr. Morgaine klammerte sich an einen Haselnußstamm und verbarg ihr Gesicht. Sie wußte nicht, und würde es auch nie erfahren, wie Accolon zum König gemacht wurde, denn es sollte ihr verborgen bleiben… Es stand nicht in ihrer Macht, ihm die Königswürde zu geben. Durch die Herrin hatte sie die Macht des Gehörnten beschworen, und er war dorthin gegangen, wohin sie ihm nicht folgen konnte.
Sie wußte nicht, wie lange sie so verharrte… Der Wind legte sich, und Accolon stand wieder bei ihr. Sie waren allein im Haselhain und hörten nur den rollenden Donner am dunklen, wolkenlosen Himmel. Der Rand der Sonne glühte wie heißes Metall hinter der dunklen Scheibe des Mondes, und Sterne brannten am Himmel, an dem die Nacht noch nicht hereingebrochen war. Accolon hatte den Arm um ihre Schultern gelegt und flüsterte: »Was ist es? Was ist es?«
»Die Sonnenfinsternis.« Ihre Stimme klang ruhiger, als sie für möglich gehalten hätte. Unter der Berührung seiner warmen und lebendigen Arme, die sie umschlangen, wurde ihr Herzschlag langsam ruhiger.
Der Boden unter ihren Füßen war wieder fest – es war die weiche Erde im Haselhain. Als sie in den Teich blickte, sah sie Zweige, die der unheimliche Wind abgerissen hatte. Irgendwo klagte ein Vogel über die plötzliche Dunkelheit, und vor ihren Füßen wühlte sich ein kleines rosafarbenes Ferkel durchs Laub. Dann strahlte das Licht wieder auf, während der Schatten vor der Sonne allmählich verschwand. Sie bemerkte, wie Accolon in die Helligkeit starrte, und sagte schnell: »Wende den Blick ab… nach der Dunkelheit kannst du erblinden!«
Er schluckte und senkte den Kopf. Seine Haare hatte ein Wind zerzaust, der nicht von dieser Welt gewesen war, und in ihnen hing noch ein rotes Blatt. Morgaine erzitterte, als sie es sah, denn sie standen unter einem Haselstrauch, dessen erste Blätter sich entfalteten.
Accolon flüsterte:
»Er
ist gegangen… und
Sie…
oder bist du es gewesen? Morgaine, ist es geschehen? War es Wirklichkeit?«
Morgaine blickte in sein verwirrtes Gesicht und sah etwas in seinen Augen, was sie vorher noch nie bemerkt hatte: die Berührung mit dem Außermenschlichen. Sie nahm das rote Blatt aus seinem Haar und zeigte es ihm: »Du trägst die Schlangen… mußt du wirklich fragen?«
»Ah…« Sie sah, wie ein Schauer durch seinen Körper rann. Mit einer wilden Bewegung schlug er ihr das Blatt aus der Hand, das sanft auf den Waldboden sank, und sagte keuchend: »Ich schien hoch über der Welt dahinzureiten und sah Dinge, die kein Sterblicher erblickt…« Er preßte sie an sich, zerrte in blinder Leidenschaft an ihrem Kleid und zog sie mit sich zu Boden. Sie ließ ihn gewähren und lag wie betäubt im feuchten Laub, als er wild in sie stieß, getrieben von einer Macht, die er kaum verstand. Während sie schweigend unter dieser fordernden Kraft lag, schien sein Gesicht wieder überschattet von dem Geweih oder den roten Blättern. Sie hatte keinen Anteil daran, war nur die geduldige Erde unter Regen und Wind, Donner und Blitz… und der Blitz schien durch sie hindurch in die Erde zu fahren…
Die Dunkelheit schwand, und die merkwürdigen Sterne, die an diesem Tag am Himmel geleuchtet hatten, verblaßten. Accolon half ihr zärtlich und beinahe reumütig, sich zu erheben und ihr Gewand zu ordnen. Er beugte sich über sie, küßte sie und stammelte eine Art Erklärung, als wollte er sie um Entschuldigung bitten. Morgaine aber lächelte nur und legte ihm die Hand auf den Mund. »Nein, nein… genug…« Im Hain war es wieder still, und nur die wirklichen Geräusche eines ruhigen Tages umgaben sie.
Morgaine sagte leise: »Wir müssen zurück, mein Geliebter. Man wird uns vermissen. Alle werden über die Sonnenfinsternis beunruhigt
sein und sich aufführen, als habe sich ein Wunder ereignet…« Sie lächelte schwach. An diesem Tag hatten sie etwas weit Seltsameres als eine Verfinsterung der Sonne gesehen. Sie spürte Accolons kühle und feste Hand.
Beim Gehen flüsterte er: »Ich wußte nie, daß du… du siehst aus wie
Sie,
Morgaine…«
Aber ich bin sie.
Morgaine sprach es nicht aus. Für ihn war es eine Weihe gewesen. Vielleicht hätte er besser vorbereitet in diese
Weitere Kostenlose Bücher