Die Nebel von Avalon
selbst nicht, was ich tun oder sagen soll,
dachte Morgaine. Sie spürte die vertraute seltsame Verschwommenheit in sich aufsteigen, die ihre Gedanken vernebelte: In dieser Wolke entstand machtvolle Magie.
Ich muß der Göttin vertrauen. Sie muß mich führen. Nicht ich allein, sondern er an meiner Seite wird Artus das Schwert aus der Hand reißen.
»Vertraue mir und gehorche.«
Morgaine erhob sich. Schweigend ging sie durch den Wald und suchte… was suchte sie? Sie fragte, und ihre Stimme klang merkwürdig entfernt: »Wachsen in diesem Wald Haselsträucher, Accolon?«
Er nickte. Sie folgte ihm in das Haselwäldchen. Die Büsche trieben gerade neue Blätter und Blüten. Wildschweine hatten hier nach den letzten Nüssen gesucht, und auf dem weichen Laubboden lagen zerbrochene Nußschalen. Kleine Schößlinge strebten dem Licht entgegen – aus ihnen würden die neuen Sträucher werden, damit das Leben im Wald nie erstarb.
Blüten, Früchte und Samen. Alles kehrt zurück, wächst und kommt ans Licht, um am Ende die Hülle wieder der Herrin anzuvertrauen. Sie, die schweigend und allein im Herzen der Natur wirkt, kann ihren Zauber nicht ohne seine Kraft vollenden, denn er rennt mit den Hirschen; und sie verschenkt in der Sommersonne den Reichtum ihres Leibes.
Unter dem Haselstrauch sah sie Accolon an. Sie wußte, er war ihr Geliebter, ihr erwählter Priester. Aber sie wußte auch, er hatte sich zu einer Prüfung bereit erklärt, die über das hinausging, was sie allein bewirken konnte.
Noch ehe die Römer in den Hügeln nach Zinn und Blei gruben, war der Haselhain bereits ein heiliger Ort. Am Rande des Hains lag ein Teich, umgeben von drei heiligen Bäumen: Haselnuß, Weide und Erle – ein Zauber, der älter war als die Magie der Eiche. Im Teich schwammen Zweige und Blätter. Aber das Wasser war klar und spiegelte sich dunkelbraun, das reine Braun des Waldes… Morgaine sah ihr Ebenbild, als sie sich hinunterbeugte, mit der Hand Wasser schöpfte und damit ihre Stirn und ihre Lippen berührte. Ihr Gesicht verschwamm, und sie blickte in die seltsam tiefliegenden Augen der Frau aus jener älteren Welt. Aber was sie in diesen Augen las, ließ sie vor Entsetzen erbeben.
Die Welt, die sie umgab, hatte sich kaum merklich verändert. Morgaine hatte geglaubt, das merkwürdige Alte Land läge an den Grenzen von Avalon, nicht hier in den fernen Weiten von Nordwales. Aber eine Stimme in ihr sagte beharrlich:
Ich bin überall. Wo der Haselstrauch sich im heiligen Teich spiegelt, da bin ich.
Sie hörte, wie Accolon vor Erstaunen und Ehrfurcht nach Luft rang, drehte sich um und sah die Herrin des Feenreiches. Aufrecht und schweigend stand sie in ihrem schimmernden Gewand und mit der Krone aus geschälten Weidenzweigen auf der Stirn vor ihnen. Sprach sie, oder war es die Herrin?
Es
gibt andere Prüfungen, als das Rennen mit den Hirschen.. .
Plötzlich schien fern und unwirklich ein Hornruf durch den Haselhain zu schallen… War es wirklich der Haselhain? Die Blätter bewegten sich, rauschten in einem plötzlichen Wind, die Äste knackten und schwankten. Eisige Angst erfaßte Morgaine.
Er kommt…
Sie wandte sich langsam und zögernd um und sah, daß sie nicht allein im Hain waren. Er stand dort am Rand zwischen den Welten… Sie fragte Accolon nie, was er gesehen hatte… Sie sah nur den Schatten der Geweihkrone, die strahlend goldenen und roten Blätter eines Waldes, den die ersten Frühlingsknospen schmückten. Sie sah die dunklen Augen… einmal hatte sie bei ihm auf dem Waldboden gelegen. Diesmal kam er nicht zu ihr, und sie wußte es. Jetzt mußten sie und sogar die Herrin zur Seite treten. Er schritt leichtfüßig über das Laub. Aber irgendwie erhob sich mit ihm der Wind und blies jetzt heftiger durch die Bäume. Die Haare flatterten ihr um die Stirn, und ihr Mantel blähte sich in einem kühlen Luftzug. Er war groß und dunkel, schien prächtige Gewänder zu tragen und plötzlich in Blätter gehüllt zu sein. Und doch hätte sie einen Eid schwören können, daß er gleichzeitig nackt vor ihnen stand, und daß sein glatter Körper im Sonnenlicht glänzte. Er hob die schlanke Hand, und Accolon ging ihm langsam, Schritt für Schritt, entgegen, als sei er verzaubert…
Gleichzeitig sah sie Accolon gekrönt und geschmückt mit Blättern und dem Geweih, das im merkwürdig stillen Licht des Feenreiches schimmerte. Morgaine spürte, wie der Wind sie peitschte und an ihr zerrte. Sie sah Gestalten und Gesichter im Hain – aber
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