Die Nebel von Avalon
Mann zufriedenzustellen, anstatt dich darüber zu beklagen, daß eine andere Frau ihm geben kann, wozu du nicht in der Lage bist.«
Igraine hob die Hand, um die Schwester zu schlagen, bezwang sich aber selbstbeherrscht und sagte: »Glaubst du wirklich, mich kümmert, wen Gorlois sich ins Bett holt? Ich zweifle nicht daran, daß er alle möglichen Huren gehabt hat. Aber es wäre mir lieber, meine Schwester gehörte nicht dazu. Ich sehne mich nicht nach seinen Umarmungen. Und wenn ich dich haßte, würde ich dich ihm freiwillig überlassen. Aber du bist zu jung… wie ich zu jung war. Und Gorlois ist ein Christ. Wenn du ihm erlaubst, in dein Bett zu kommen und dann von ihm schwanger wirst, bleibt ihm keine andere Wahl, als dich so schnell wie möglich dem nächstbesten seiner Soldaten zur Frau zu geben, der sich auch mit gebrauchter Ware abfindet… die Römer sind nicht wie unser Volk, Morgause. Gorlois mag vielleicht vernarrt in dich sein. Aber glaube mir, er wird mich nicht verstoßen und dich zur Frau nehmen. Unser Volk mißt der Jungfräulichkeit keine große Bedeutung zu. Die Frau, die ihre Fruchtbarkeit bewiesen hat, in deren Leib ein gesundes Kind heranwächst, ist eine sehr begehrenswerte Gemahlin. Aber die Christen sind anders. Das sage ich dir! Für sie bist du dann eine Entehrte. Und der Mann, den Gorlois überredet, dich zu nehmen, wird dich dein ganzes Leben lang spüren lassen, daß nicht er der Vater deines Kindes ist. Willst du das, Morgause? Du könntest einen König heiraten! Willst du dich wegwerfen, Schwester, nur um mich zu kränken?«
Morgause wurde blaß. »Das wußte ich nicht…«, flüsterte sie. »O nein, ich möchte nicht entehrt sein… Igraine, bitte vergib mir!«
Igraine küßte sie und gab ihr den silbernen Spiegel und die Bernsteinkette. Morgause starrte sie ungläubig an. »Aber Gorlois hat diese Dinge dir geschenkt…«
»Ich habe geschworen, nie mehr ein Geschenk von Gorlois anzunehmen«, antwortete Igraine. »Sie gehören dir, Schwester. Sie sind für den König, den der Merlin in deiner Zukunft gesehen hat. Aber du mußt keusch bleiben, bis er kommt.«
»Hab keine Angst«, entgegnete Morgause und lächelte wieder. Igraine bemerkte erleichtert, daß sie mit ihrer Ermahnung Morgauses Ehrgeiz geweckt hatte. Ihre Schwester war kühl und berechnend. Sie würde sich nie von Gefühlen fortreißen lassen. Igraine sah sie an und wünschte, auch sie wäre ohne die Fähigkeit zu lieben geboren worden.
Ich wünschte, ich könnte mich mit Gorlois zufriedengeben … oder ich könnte kaltblütig – wie Morgause es sicher tun würde – mir Gorlois vom Halse schaffen und Uthers Königin werden.
Gorlois blieb nur vier Tage auf Tintagel, und Igraine sah ihn mit Erleichterung ziehen. Er ließ ein Dutzend Bewaffneter zurück. Ehe er davonritt, rief er Igraine zu sich.
»Ihr und das Kind werdet hier sicher und gut geschützt sein«, bemerkte er knapp. »Ich sammle die Männer von Cornwall gegen die irischen Räuber oder gegen die Nordmänner… auch gegen Uther, wenn er versuchen sollte zu kommen und sich zu nehmen, was ihm nicht gehört… Frau oder Burg.«
»Ich vermute, Uther wird in seinem Land genug zu tun haben und nicht darauf verfallen«, erwiderte Igraine und preßte die Lippen zusammen, um die aufsteigende Verzweiflung zu unterdrücken.
»Das gebe Gott«, sagte Gorlois, »denn wir haben auch ohne ihn genügend Feinde. Aber fast wünsche ich mir, daß er kommt. Dann kann ich ihm zeigen, daß Cornwall nicht ihm gehört, wie alles andere, was er glaubt, sich nehmen zu können.«
Igraine erwiderte nichts. Gorlois ritt mit seinen Männern davon, und Igraine ging daran, sich um den Haushalt zu kümmern. Auch mußte sie die alte Nähe zu ihrem Kind wiederherstellen und versuchen, die zerbrochene Freundschaft mit ihrer Schwester Morgause zu erneuern.
Aber ihre Gedanken kreisten nur um Uther, wie sehr sie sich auch mit anderen Dingen beschäftigen mochte. Nicht der wirkliche Uther verfolgte sie, nicht der, den sie im Obstgarten, am Hof und in der Kirche gesehen hatte, nicht der gefühlsbetonte und beinahe jungenhafte, sogar etwas ungehobelte und täppische Mann; vor Uther, dem Pendragon, dem Großkönig, fürchtete sie sich ein bißchen – sie glaubte, vor ihm würde sie sich sogar ängstigen wie damals vor Gorlois. Aber wenn sie an den Mann Uther dachte, an Küsse, Umarmungen und an all das, was er von ihr begehren konnte, glaubte sie manchmal dahinzuschmelzen. Ein Gefühl der Süße
Weitere Kostenlose Bücher