Die Nebel von Avalon
überwältigte sie wie in ihrem Traum. Manchmal überkam sie jedoch panisches Entsetzen, und sie fühlte sich wie das geschändete Kind, das am Morgen nach seiner Hochzeit starr vor Furcht und Grauen erwachte. Der Gedanke an den Vollzug der Ehe erschien ihr angsteinflößend und so absonderlich wie damals.
Der
andere
Uther kam immer und immer wieder zurück. Er kam in der Stille der Nacht, wenn Morgaine an ihrer Seite schlief, oder wenn Igraine auf dem Söller am Meer saß und ihrer Tochter die Hände führte, die ihre ersten ungeschickten Versuche machte zu spinnen. Sie mußte an den Uther denken, den sie außerhalb von Zeit und Raum beim Ring der Steine gekannt hatte… den Priester aus Atlantis, mit dem sie die Mysterien geteilt hatte. Sie wußte,
diesen
Uther würde sie lieben wie ihr eigenes Leben. Ihn konnte sie niemals fürchten. Was immer zwischen ihnen auch geschah, eine Süße und eine Freude würde sie umgeben, die alles überstieg, was sie bisher kannte. Und wenn sie sich ihm näherte, wußte sie einfach, daß sie einen verlorenen Teil ihrer selbst wiedergefunden hatte. Mit ihm und bei ihm war sie ganz. Es gab etwas, das über alles hinausreichte, das nie sterben oder in seiner Kraft nachlassen würde, was ihnen als Mann und Frau im gewöhnlichen Leben widerfahren konnte. Sie teilten ein Schicksal. Und auf irgendeine Weise mußten sie es gemeinsam erfüllen… Wenn ihre Gedanken diesen Punkt erreicht hatten, hielt Igraine oft inne und wunderte sich über sich selbst. War sie schon wahnsinnig mit ihren Hirngespinsten von geteiltem Schicksal und der anderen Hälfte ihrer Seele? Die Wirklichkeit war sicher einfacher und weniger verklärt. Sie, eine verheiratete, sittsame Frau und Mutter eines Kindes, war einfach vernarrt in einen jüngeren und besser aussehenden Mann als ihren rechtmäßigen Gemahl. Sie hatte sich einem Tagtraum überlassen und sich deshalb mit dem guten und ehrbaren Gorlois zerstritten… Und dann saß sie da und biß, von heftigen Schuldgefühlen gequält, die Zähne zusammen. Sie fragte sich, ob sie ihr ganzes Leben lang für eine Sünde büßen mußte, die sie halb unbewußt begangen hatte.
Der Frühling wich dem Sommer. Die Feldfeuer lagen schon lange zurück. Hitze breitete ihren Dunstschleier über das Land. Das Meer war so blau und so klar, daß Igraine manchmal fern in den Wolken die vergessenen Städte Lyonness und Atlantis zu sehen glaubte. Die Tage wurden bereits kürzer, und manchmal gab es nachts wieder Frost, als Igraine das ferne Grollen des Krieges vernahm. Die Soldaten brachten Neuigkeiten aus der Marktstadt mit. Die Küste wurde von irischen Räubern heimgesucht. Sie hatten ein Dorf und eine Kirche in Brand gesteckt, auch ein oder zwei Frauen verschleppt. Und Heere – nicht unter Gorlois' Befehl – marschierten nach Westen in das Sommerland und nach Norden, auf Wales zu.
»Welche Heere?« fragte Igraine den Mann. Er erwiderte: »Ich weiß nicht, Herrin. Ich habe sie nicht gesehen. Die Männer, die sie gesehen
haben, sagen, sie tragen Adler wie früher die römischen Legionen. Und das ist nicht möglich. Aber man sagt auch, daß sie unter dem Banner eines roten Drachen marschieren.«
Uther!
dachte Igraine, und es gab ihr plötzlich einen Stich.
Uther ist in der Nähe, und er wird nicht einmal wissen, wo ich bin!
Erst dann erkundigte sie sich nach Gorlois. Der Mann berichtete, daß auch ihr Gemahl im Sommerland sei, und daß man dort eine Heerschau abhalte.
An diesem Abend sah Igraine lange in ihren alten Bronzespiegel und wünschte, er wäre der Kristall einer Priesterin, der sichtbar machen konnte, was weit entfernt geschah! Sie wünschte sehr, sich mit Viviane oder dem Merlin beraten zu können. All die Schwierigkeiten hatten
sie
in die Wege geleitet. Und jetzt… hatten die beiden sie aufgegeben. Warum kamen sie nicht, um zu sehen, wie ihre Pläne sich zerschlagen hatten? Hatten sie eine andere Frau aus dem richtigen Geschlecht gefunden, die sie Uther zuführten, damit
sie
diesen König gebar, der eines Tages das ganze Land und die sich bekriegenden Stämme befrieden würde? Aber aus Avalon erreichte sie keine Nachricht. Die Soldaten erlaubten Igraine noch nicht einmal, auf den Markt in die Stadt zu reiten.
Gorlois, so sagten die Männer ehrerbietig, habe es wegen der Unsicherheit im Land verboten. Einmal sah sie vom Turmfenster einen Reiter. Er kam über den Damm und sprach mit dem Anführer der Wache. Der Ritter schien zornig zu sein und blickte verbittert auf
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