Die Nebel von Avalon
»Gorlois…«, doch er unterbrach sie mit einer knappen Geste. »Genug. Ich habe nicht die Muße, mich lange mit Euch zu unterhalten. In Tintagel habt Ihr Zeit genug, zu vergessen was geschehen ist. Und der Pendragon wird vollauf beschäftigt sein, sich der Sachsen zu erwehren. Wenn Ihr Euch von ihm habt betören lassen… nun, Ihr seid jung und eine Frau, die wenig von der Welt und noch weniger über die Männer weiß. Ich will Euch keine Vorwürfe mehr machen. In ein oder zwei Jahren werdet Ihr einen Sohn haben und den Mann vergessen, der Euch den Kopf verdreht hat.«
Schweigend ließ sich Igraine von Gorlois auf das Pferd heben; er mußte glauben, was zu glauben er sich entschlossen hatte; keines ihrer Worte konnte den eisernen Panzer seiner Überzeugung durchdringen. In Gedanken klammerte sie sich an das, was Viviane und der Merlin ihr gesagt hatten: Ihr Schicksal und Uthers Schicksal waren miteinander verknüpft. Der Traum gab ihr Gewißheit. Sie wußte, warum sie beide zurückgekommen waren. Igraine fand sich allmählich damit ab, daß dies dem Willen der Götter entsprach. Und doch saß sie auf dem Pferd und ritt mit Gorlois aus Londinium davon. Das Bündnis war zerbrochen, und Gorlois war fest entschlossen, Uther keine Gelegenheit zu geben, sie noch einmal zu sehen. Der Krieg gegen die Sachsen würde dem Großkönig kaum Zeit zu einer Reise nach Tintagel lassen, an das Ende der Welt. Und selbst wenn er es einrichten konnte, so gab es keinen Weg in die Burg, die von wenigen Männern gehalten werden konnte, bis der Himmel einstürzte. Gorlois konnte sie beruhigt zurücklassen; sie würde noch als alte Frau dort sitzen, eingekerkert zwischen düsteren Mauern und den Abgründen der schwarzen Klippen. Igraine zog den Umhang über ihr Gesicht und weinte.
Sie würde Uther nie wiedersehen. Die Pläne des Merlin hatten sich zerschlagen. Sie war an einen alten Mann gefesselt, den sie haßte – jetzt wußte sie, daß sie ihn haßte, bis jetzt hatte sie sich dieser Erkenntnis verschlossen –, und dem Mann, den sie liebte, fiel nichts Besseres ein, als sie dem stolzen Gorlois abzufordern. Später glaubte Igraine, auf der ganzen langen Reise geweint zu haben – tage- und nächtelang, während sie durch die Moore und über die Hügel von Cornwall ritten.
In der zweiten Nacht schlugen sie Zelte auf. Igraine freute sich auf ein warmes Mahl und die Aussicht, nicht im Freien schlafen zu müssen, obwohl sie wußte, daß sie Gorlois' Umarmungen nicht entgehen konnte.
Im Zelt, in Hörweite seiner Soldaten, konnte sie nicht schreien und sich auch nicht gegen ihn wehren. Vier Jahre war sie jetzt seine Frau, und niemand würde glauben, daß er sie vergewaltigte. Sie hätte auch nicht mehr die Kraft, sich gegen ihn zu wehren und wollte ihre Würde in einem solch schmutzigen Kampf nicht verlieren. Igraine biß sich heftig auf die Lippen und beschloß, ihm zu Willen zu sein – aber sie wünschte, ein paar der Zaubersprüche zu kennen, von denen man sagte, daß sie die Jungfrauen der Göttin beschützten. Wenn diese sich im Schein der Feldfeuer den Männern hingaben, empfingen sie nur ein Kind, wenn sie es wollten. Es war bitter, daß er vielleicht den ersehnten Sohn zeugen würde, während sie so gedemütigt und am Ende ihrer Kraft war.
Der Merlin hatte es ihr prophezeit:
Du wirst Gorlois keinen Sohn schenken.
Aber Igraine glaubte dem Merlin nicht mehr, nachdem sie erlebt hatte, wie alle Pläne gescheitert waren. Grausamer, ränkeschmiedender alter Mann! Er hatte sie benutzt, wie die Väter ihre Töchter benutzten, seit die Römer ins Land gekommen waren – als Dreingabe oder als Pfänder, die man diesem oder jenem Manne überließ; als Vieh, das man wie Pferde oder Ziegen verschacherte.
Mit Gorlois hatte sie sich irgendwie abgefunden, aber nun hatte man diesen Frieden grausam und sinnlos zerstört. Igraine weinte still vor sich hin, als sie sich zu ihm legte – ergeben, verzweifelt und sich noch nicht einmal mehr ihrer Fähigkeit sicher, ihn mit zornigen Worten abzuweisen. Sie spürte, daß er nur darauf wartete, seinen Besitzanspruch unter Beweis zu stellen, um die Erinnerung an den anderen Mann zu vertreiben. Gorlois zwang sie, ihn zur Kenntnis zu nehmen, und zwar auf die einzige Weise, in der er sich ihr noch aufdrängen konnte.
Die vertrauten Hände und das Gesicht über ihr in der Dunkelheit schienen einem Fremden zu gehören. Doch als er Igraine an sich zog, blieben seine Lenden schlaff und kraftlos, obwohl er
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