Die Nebel von Avalon
Kind züchtigen. Übergebt mir Morgaine, und ich werde sie für ihre Unart bestrafen.«
Jetzt konnte Igraine ihren Zorn nicht länger zügeln. Vater Columba hatte sich Morgaine genähert, die furchtlos zu ihm aufsah. Igraine stellte sich rasch zwischen beide. »Wenn Ihr meine Tochter anrührt, Priester«, fauchte sie, »bringe ich Euch auf der Stelle um! Mein Gemahl hat Euch hierhergeholt, und ich kann Euch nicht wegschicken. Aber wenn Ihr mir noch einmal unter die Augen tretet, werde ich Euch ins Gesicht spucken. Befreit mich von Eurer Anwesenheit!«
Vater Columba wich nicht von der Stelle: »Herzog Gorlois hat mir die Sorge um das geistige Wohl seines Haushalts anvertraut, Herrin. Ich neige nicht zu Stolz, deshalb will ich Euch vergeben, was Ihr gesagt habt.«
»An Eurer Vergebung liegt mir ebensoviel wie an der eines Ziegenbocks! Geht mir aus den Augen, oder ich werde meine Mägde rufen und Euch hinausschaffen lassen. Wenn ihr nicht weggeschleppt werden wollt, alter Mann, dann macht Euch davon und wagt nie wieder vor mir zu erscheinen, bevor ich nicht nach Euch schicke… und das wird an dem Tag sein, an dem die Sonne im Westen über Wand aufgeht!
Geht!«
Der Priester starrte auf ihre flammenden Augen, ihre zum Schlag erhobene Hand und hastete davon.
Igraine hatte sich soeben offen gegen Gorlois' Anordnung erhoben und erstarrte vor ihrer eigenen Kühnheit. Wenigstens hatte sie sich und auch Morgaine von diesem Priester befreit. Ihre Tochter sollte nicht in dem Bewußtsein aufwachsen, sich ihrer Weiblichkeit schämen zu müssen.
Spät am Abend kam Morgause vom Markt zurück. Sie hatte umsichtig eingekauft; Igraine wußte, sie selbst hätte es nicht besser machen können. Von ihrem Zugeld hatte sie Morgaine ein Stück Zuckerhut zum Lutschen mitgebracht, und sie sprudelte über von Geschichten, die sie auf dem Markt gehört hatte. Die Schwestern saßen bis Mitternacht in Igraines Kammer und unterhielten sich noch lange, nachdem Morgaine eingeschlafen war. Ihr kleines Gesicht war verschmiert, und sie hielt den Zucker noch immer fest umklammert, als Igraine ihn ihr wegnahm und einwickelte. Dann kam sie zurück und fragte Morgause nach weiteren Neuigkeiten.
Es ist meiner nicht würdig, daß ich durch das Gerede vom Markt Neuigkeiten über Gorlois erfahren muß.
»Im Sommerland wird eine große Versammlung abgehalten«, berichtete Morgause. »Man erzählt sich, daß der Merlin Frieden zwischen Lot und Uther gestiftet hat. Und man sagt, daß Ban von der Bretagne sich mit ihnen verbündet hat und Pferde aus Spanien schickt…« Sie stolperte etwas über den Namen. »Wo liegt das, Igraine? In Rom?«
»Nein, weit im Süden… viele, viele Meilen näher an Rom als wir«, erklärte Igraine.
»Es gab eine Schlacht mit den Sachsen. Uther mit dem Drachenbanner war dabei«, fuhr Morgause fort. »Ich hörte einen Barden, der ein Lied darüber sang, wie der Herzog von Cornwall seine Gemahlin in Tintagel gefangenhält…« Igraine sah in der Dunkelheit die weitaufgerissenen Augen und die halbgeöffneten Lippen des Mädchens. »Igraine, sag mir die Wahrheit.
War
Uther dein Geliebter?«
»Nein«, antwortete Igraine, »aber Gorlois glaubt es, und deshalb kam es zu dem Zwist mit Uther. Er glaubte mir nicht, als ich ihm die Wahrheit sagte.« Und mit tränenerstickter Stimme fügte sie hinzu: »Jetzt wünsche ich, daß es die Wahrheit gewesen wäre.«
»Man sagt, König Lot sieht besser aus als Uther«, redete Morgause weiter, »und er sucht eine Frau. Man tuschelt, daß er Uther den Rang des Großkönigs streitig machen würde, wenn er sicher wäre, damit Erfolg zu haben. Sieht er wirklich besser aus als Uther? Ist Uther wirklich wie ein Gott? Man behauptet es zumindest…«
Igraine schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, Morgause.«
»Warum nicht, wenn er doch dein Geliebter war…«
»Mir ist gleichgültig, was man erzählt«, unterbrach sie Igraine, »aber eines kann ich dir sagen, da solche Dinge in der Welt wichtig sind… beide sehen sie gut aus! Lot ist dunkel und Uther blond wie ein Mann aus dem Norden. Aber es lag nicht an seinem hellen Gesicht, daß mir Uther besser gefiel.«
»Woran denn?« fragte Morgause, hellwach geworden und neugierig.
Igraine seufzte, weil sie wußte, das Mädchen würde sie nicht verstehen. Aber das Verlangen, wenigstens etwas von dem zu teilen, was sie empfand und niemandem mitteilen konnte, brachte sie dazu zu sagen: »Ach… ich weiß es selbst kaum. Nur… es war, als kenne ich ihn
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