Die Nebel von Avalon
bei der Suche den Tod gefunden hatte. Einmal sah sie Lancelot. Er lief halbnackt, in Felle und Häute gehüllt, mit langen, wirren Haaren ohne Rüstung und Schwert durch den Wald. Heller Wahnsinn glitzerte in seinen Augen. Sie hatte vorausgesehen, daß diese Suche für ihn in Wahn und Verzweiflung enden würde. Trotzdem blickte sie mit jedem neuen Mond in ihren Spiegel – aber lange erfolglos. Dann erblickte sie ihn in Lumpen gehüllt auf Stroh schlafen. Kerkermauern umgaben ihn… dann sah sie ihn nicht mehr.
Oh, ihr Götter! Auch er ist gegangen… wie so viele von Artus' Getreuen… Der Gral war für Camelot kein Segen, sondern ein Fluch … Und das ist richtig … es ist der Fluch für einen Verräter, der den Heiligen Kelch entweihen wollte … und jetzt ist er auch für immer aus Avalon entrückt …
Morgaine glaubte lange Zeit, die Göttin habe den Gral in das Reich der Götter geholt, damit die Menschheit ihn nie wieder entweihen könne. Sie gab sich damit zufrieden, denn der Wein der Christen hatte ihn besudelt – dieser Wein war Blut und Wein, und sie wußte nicht, wie sie den Gral hätte reinigen können. Männer aus der alten Bruderschaft der Priester, die in jenen Tagen nach Avalon kamen, brachten Gerüchte aus der Welt draußen mit. Es waren Priester darunter… alte Priester, die einmal Seite an Seite mit den Druiden Gott verehrten, denn sie glaubten fest daran, ihr Christus habe einmal hier in Avalon gelebt und seine Weisheit erlangt. Jetzt flohen sie vor dem neuen eifernden Christentum, das jede andere Form der Anbetung austilgen wollte. Von ihnen erfuhr Morgaine etwas über den Gral.
Die Priester sagten, er sei wirklich der Kelch, aus dem Christus beim Abendmahl getrunken habe. Er sei jetzt in den Himmel gebracht worden und sei für immer dieser Welt entrückt. Aber es gab auch Gerüchte, daß man ihn auf dieser anderen Insel, auf Ynis Witrin, gesehen habe. Dort könne man ihn in der Tiefe der Quelle glänzen sehen – diese Quelle füllte auf Avalon den Heiligen Spiegelteich der Göttin. Die Priester auf Ynis Witrin sprachen deshalb jetzt von der ›Quelle des Kelchs‹.
Nachdem die alten Priester eine Zeitlang auf Avalon lebten, hörte Morgaine, der Gral sei hin und wieder für kurze Zeit auf ihrem Altar gesehen worden.
Der Wille der Göttin geschehe! Sie werden ihn nicht entweihen.
Aber Morgaine wußte nicht, ob es wirklich in der alten Kirche der christlichen Brüder geschah… sie stand genau auf der Stelle der Kirche der anderen Insel. Man sagte, wenn die Nebel sich lichteten, könnten die alten Priester auf Avalon die Mönche in
ihrer
Kirche auf Ynis Witrin singen hören. Morgaine erinnerte sich an den Tag, als die Nebel sich lichteten, und Gwenhwyfar sich nach Avalon verirrte. Die Zeit verging jetzt anders auf Avalon. Morgaine wußte nicht, ob die zwölf Monate und ein Tag verstrichen waren, die die Ritter mit der Suche nach dem Gral verbringen wollten. Manchmal glaubte sie, daß in der Welt draußen bereits Jahre vergangen sein mußten… Sie dachte lange über Kevins Worte nach:…
die Nebel schließen sich um Avalon.
Eines Tages wurde Morgaine ans Seeufer gerufen. Aber das Gesicht mußte ihr nicht sagen, wer in der Barke stand. Avalon war einmal auch seine Heimat gewesen. Lancelots Haare waren inzwischen grau und sein Gesicht war ausgezehrt und mager. Aber er sprang mit einem Anflug seiner alten Anmut vom Boot. Sie ging ihm entgegen und ergriff seine Hände. In seinem Gesicht lag keine Spur mehr des Wahnsinns.
Er sah ihr in die Augen, und plötzlich schien sie wieder die Morgaine von früher zu sein. Damals war Avalon ein belebter Tempel mit Priestern und Druiden gewesen… keine einsame Insel mit wenigen alternden Priesterinnen, ein paar älteren Druiden und einer kleinen Gruppe halb vergessener uralter Christen, die in den Nebeln dahintrieb.
»Wie kommt es, daß die Jahre spurlos an dir vorübergegangen sind?« fragte Lancelot. »Alles scheint sich verändert zu haben… selbst hier in Avalon… sieh doch, selbst die Ringsteine sind im Nebel verborgen!«
»Oh, sie sind immer noch da«, entgegnete Morgaine. »Allerdings würden sich manche von uns verirren, wenn sie den Weg suchen wollten.« Schmerzlich erinnerte sie sich an einen Tag – ach, das lag ein ganzes Leben zurück! –, an dem sie und Lancelot im Schatten der Steine lagen. »Ich glaube, eines Tages werden sie völlig in den Nebeln entschwinden und so nie durch Menschenhände oder durch den Wind der Zeit abgetragen
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