Die Nebel von Avalon
in der zunehmenden Dunkelheit den Prozessionsweg zurück zu den Gebäuden der Priesterinnen. Dort rief sie ihre Kammerfrau.
»Bereite alles vor. Ich reise bei Tagesanbruch«, sagte sie, »meine Novizin soll sich darauf vorbereiten, das Vollmondritual zu leiten. Denn ich muß in Caerleon sein, ehe der Mond wieder aufgeht. Benachrichtige den Merlin.«
10
Sie ritten meist frühmorgens. Tagsüber verbargen sie sich und reisten bei Einbruch der Dämmerung weiter. Im Land herrschte zur Zeit Frieden. Der Krieg tobte im Osten. Aber immer wieder hatten streunende Räuberhorden der Nordmänner oder Sachsen Dörfer oder einsam gelegene Güter überfallen. Alle Reisenden waren vorsichtig und trauten niemanden, wenn sie nicht Bewaffnete zu ihrem Schutz dabei hatten.
Viviane rechnete fast damit, Uthers Hof verlassen vorzufinden und erwartete, nur Frauen und Kinder anzutreffen, die nicht kämpfen konnten. Aber schon von weitem sah sie auf den Zinnen das Drachenbanner wehen: Der König war auf der Burg. Sie preßte die Lippen zusammen. König Uther mochte die Druiden der Heiligen Insel nicht und mißtraute ihnen. Doch sie hatte diesen Mann, den sie ablehnte, auf den Thron gesetzt, denn er war der beste Führer, den die Insel hervorgebracht hatte. Jetzt mußte sie mit ihm zusammenarbeiten, so gut es eben ging. Zumindest war er kein so fanatischer Christ, daß er es sich zur Aufgabe machte, alle anderen Religionen auszurotten.
Besser, ein gottloser Mann ist Großkönig, als ein religiöser Eiferer,
dachte sie.
Seit ihrem letzten Aufenthalt am Hof hatte man die Befestigungsmauer erhöht. Auf den Zinnen standen Wachen, die sie anriefen. Viviane hatte ihre Männer angewiesen, keinen ihrer Titel zu nennen, sondern nur zu sagen, die Schwester der Königin sei gekommen. Es war nicht der Zeitpunkt, zu verlangen, daß sie als Herrin von Avalon mit allen Ehren begrüßt wurde. Ihre Mission ließ keinen Aufschub zu.
Man führte sie durch die grasbewachsenen Außenanlagen, wo das übliche geschäftige Treiben einer Festung herrschte. Irgendwo hörte sie einen Schmied, der auf seinen Amboß hämmerte. Frauen in groben Fellkleidern trieben Schafe für die Nacht in den Schutz der Burgmauern. Viviane erkannte dies alles als Vorbereitung für eine Belagerung und hob verwundert die Augenbrauen. Noch vor wenigen Jahren war Igraine herbeigeeilt, um sie im Burghof von Tintagel willkommen zu heißen. Jetzt begrüßte sie ein prächtig gekleideter Kämmerer – er hatte nur noch einen Arm und war ohne Zweifel einer von Uthers Alt
gedienten. Er verneigte sich feierlich und geleitete sie nach oben in eine Kammer.
»Ich bedaure, Herrin«, sagte er, »wir sind sehr beengt. Ihr müßt diesen Raum mit zwei Hofdamen der Königin teilen.«
»Es wird mir eine Ehre sein«, antwortete sie ebenso ernst.
»Ich werde Euch eine Magd senden. Ihr müßt nur Eure Wünsche äußern.«
»Ein wenig Wasser«, sagte Viviane, »und möchte wissen, wann ich meine Schwester sehen kann.«
»Ich bin sicher, Herrin, die Königin wird Euch zur rechten Zeit empfangen…«
»Hält Uther hof wie die Cäsaren? Guter Mann! Ich bin die Herrin von Avalon und nicht gewohnt, daß man mich warten läßt. Aber wenn Igraine einen so hohen Stand einnimmt, dann bitte ich Euch, schickt mir so schnell wie möglich die Dame Morgaine.«
Der einarmige Kämmerer erschrak. Aber als er sprach, klang seine Stimme wärmer, weniger förmlich. »Herrin, ich bin sicher, die Königin wird Euch bereitwilligst sofort empfangen. Aber Ihr kommt in einer Zeit der Gefahr und der Sorge. Der junge Prinz Gwydion ist heute morgen von einem Pferd gefallen, das zu reiten ihm niemand hätte erlauben sollen. Die Königin läßt ihn keinen Augenblick allein.«
»Bei der Großen Göttin, also bin ich zu spät«, flüsterte Viviane, laut sagte sie: »Bringt mich sofort zu ihr! Ich bin in den Heilkünsten bewandert, Igraine hätte sicher nach mir geschickt, wenn sie wüßte, daß ich hier bin.«
Er verbeugte sich und sagte: »Folgt mir, Herrin!«
Während sie hinter ihm herging, dachte sie, daß sie noch nicht einmal Zeit gehabt hatte, ihren Umhang abzulegen oder die Männerhose auszuziehen, die sie beim Reiten trug. Sie wollte sich eigentlich mit der ganzen Würde der Herrin von Avalon präsentieren. Nun, das hier war wichtiger.
Der Kämmerer blieb vor einer Tür stehen. »Es kann mich den Kopf kosten, wenn ich die Königin störe. Sie gestattet ihren Hofdamen noch nicht einmal, ihr Speisen oder Getränke zu
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