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Die Nebel von Avalon

Titel: Die Nebel von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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sich schlängelnde Welt der Dämonen zurückzuschlagen. Selbst jetzt empfand Viviane das als Lästerung. Aber sie tröstete sich mit dem Gedanken, daß dies nicht in
ihrer
Welt geschah. Wenn die engstirnigen Christen die großen alten Götter als Dämonen ansahen, war es ihr eigener Schaden. Die Göttin lebte, gleichgültig, was die Christen von ihr dachten. Viviane richtete ihre Gedanken auf ihre Aufgabe und wollte in den magischen Spiegel blicken, während der neue Mond noch am Himmel stand.
    Es war bereits hell genug, um alles zu sehen. Aber die Herrin trug eine kleine Lampe mit einer winzigen, flackernden Flamme bei sich. Sie wendete dem Schilf und den Salzmarschen den Rücken und ging auf dem Pfad landeinwärts. Langsam stieg sie durch das hohe Ufer-gras nach oben und kam an den modrigen Pfählen vorbei, auf denen in einer längst vergangenen Zeit hier am See die Siedler ihre Hütten errichtet hatten.
    Ihre kleine Lampe flackerte und war immer deutlicher in der Dunkelheit zu erkennen. Über den Bäumen glänzte kaum sichtbar die reine, schlanke Sichel des jungen Mondes wie der silberne
Torques
am Hals der Priesterin. Viviane folgte dem uralten Prozessionsweg und stieg langsam hinauf – sie war zwar noch immer stark und kräftig, aber keine junge Frau mehr –, bis sie den Spiegelteich erreichte. Steine umgaben ihn, die vor undenklichen Zeiten dort aufgerichtet worden waren.
    Das klare Wasser glänzte im Mondlicht. Als sie sich darüberbeugte, flammte es im Schein ihrer kleinen Lampe auf. Sie beugte sich tiefer, tauchte die Hand ins Wasser und trank – es war verboten, etwas von Menschenhand Geschaffenes mit dem Wasser in Berührung zu bringen.
    Weiter oben, wo die Quelle entsprang, war es den Pilgern erlaubt, Flaschen und Krüge zu füllen. Viviane kostete das klare, nach Eisen schmeckende Wasser und wurde wie immer von Ehrfurcht ergriffen. Die Quelle floß, seitdem die Welt entstanden war, und sie würde freigebig und wunderbar für alle Menschen ewig weitersprudeln. Eine solche Quelle mußte das Geschenk der Großen Göttin sein. Viviane kniete, während sie trank, und hob ihr Gesicht zu der schlanken Sichel am Himmel empor.
    Nach diesem kurzen Augenblick der Ehrfurcht, die Viviane empfand, seit sie als Neuling im Haus der Jungfrauen zum ersten Mal hierhergekommen war, wendete sie sich wieder ihrer Aufgabe zu. Sie stellte die Lampe auf einen flachen Stein am Rand des Spiegelteichs. Jetzt spiegelte sich die Lampe ebenso wie die Mondsichel im Wasser. Die vier Elemente waren versammelt: Feuer in ihrer Lampe; Wasser, das sie getrunken hatte; die Erde, auf der sie stand. Und während sie die Kräfte der Luft beschwor, sah sie – wie immer während einer solchen Anrufung –, daß eine leichte Brise die Wasseroberfläche kräuselte.
    Sie setzte sich und versenkte sich einen Moment lang in ihr Innerstes. Schließlich formulierte sie in Gedanken die Frage, die sie dem magischen Spiegel stellen wollte.
    Wie steht es um Britannien? Wie geht es meiner Schwester und Morgaine, die zur Priesterin geboren ist? Was ist mit dem Sohn, der Hoffnung von Britannien?
    Der Wind kräuselte das Wasser im Spiegelteich, und sie sah zunächst nur fließende, wirre Bilder – entstanden sie in ihrem Geist oder auf der unruhigen Wasseroberfläche? Viviane sah Schlachtengetümmel, aber nur verschwommen im unruhigen Wasser. Sie sah Uthers Drachenbanner und sah die Stämme an seiner Seite kämpfen. Sie sah Igraine im Krönungsmantel und mit der Krone, wie sie es mit eigenen Augen gesehen hatte. Dann erschrak sie, und ihr Herz pochte: Morgaine weinte. Und in einem zweiten, schrecklichen Aufblitzen sah sie ein blondes Kind bewußtlos und reglos auf dem Boden liegen… tot oder lebendig?
    Nebel schob sich vor den Mond, und die Erscheinung war vorüber. So sehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, etwas anderes zu beschwören als kurze knappe Bilder, die sie zu verhöhnen schienen: Morgause hielt ihren zweiten Sohn im Arm, Lot und Uther gingen erregt in einer weiten Halle auf und ab und stritten sich zornig, und sie sah noch einmal verschwommen das verletzte und sterbende Kind. Hatte sich das alles schon ereignet, oder warnten die Bilder sie vor Dingen, die geschehen sollten?
    Viviane biß sich auf die Lippen und bückte sich nach ihrer Lampe. Sie schüttete die letzten Tropfen des reinen Öls ins Wasser – Öl, das bei Anrufung des Gesichtes brannte, durfte niemals wieder zu weltlichen Zwecken gebraucht werden. Dann schritt sie rasch

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