Die netten Nachbarn
gewonnen. Aber vorgestern war ich im Recht. Sie haben keine Encyclopedia Britannica.«
»Von Britannica war nie die Rede«, korrigierte ihn Lucy. »Ich sagte nichts weiter, als dass sie eine Enzyklopädie im Haus haben und überhaupt sehr versnobt sind.«
»Schade, dass wir deine geschätzten Äußerungen nicht auf Tonband aufgenommen haben.«
»Ja, wirklich schade.«
Es blieb mir nicht verborgen, dass sich in dieses Gespräch eine gewisse Feindseligkeit einzuschleichen drohte. Deshalb schlug ich vor, dass wir alle zusammen Platz nehmen und uns aussprechen sollten, wie es sich für erwachsene Menschen geziemt.
Die Großmanns nickten – jeder für sich – zustimmend, Dov entledigte sich seines Regenmantels, und beide setzten sich hin. Dovs Pyjama war graublau gestreift.
»Wir wohnen im Haus gegenüber«, begann Dov und zeigte auf das Haus gegenüber. »Im fünften Stock. Voriges Jahr haben wir eine Reise nach Hongkong gemacht und haben uns dort einen hervorragenden Feldstecher gekauft.«
Ich bestätigte, dass die japanischen Erzeugnisse tatsächlich von höchster Qualität wären.
»Maximale Vergrößerung eins zu zwanzig«, prahlte Lucy und zupfte an ihren Lockenwicklern. »Mit diesem Glas sehen wir jede Kleinigkeit in Ihrer Wohnung. Und Dobby, der sich manchmal gern wie ein störrisches Maultier benimmt, hat gestern steif und fest behauptet, dass der dunkle Gegenstand hinter Ihrem Flügel eine Nähmaschine ist. Er war nicht davon abzubringen, obwohl man auf diesem Gegenstand ganz deutlich eine Blumenvase stehen sah. Seit wann stehen Blumenvasen auf Nähmaschinen? Eben. Aber Dobby wollte das nicht einsehen. Auch heute noch haben wir den ganzen Tag darüber gestritten. Schließlich sagte ich zu Dobby: ›Weißt du was? Wir gehen zu denen hinüber, um nachzuschauen, wer recht hat.‹ Und hier sind wir.«
»Sie haben richtig gehandelt«, lobte ich. »Sonst hätte der Streit ja nie ein Ende genommen. Noch etwas?«
»Nur die Vorhänge«, seufzte Dov.
»Was ist mit den Vorhängen, und warum seufzen Sie?« fragte ich.
»Weil, wenn Sie die Vorhänge vor Ihrem Schlafzimmer zuziehen, können wir gerade noch Ihre Füße sehen.«
»Das ist allerdings bitter.«
»Nicht dass ich mich beklagen wollte!«, lenkte Dov ein. »Sie brauchen auf uns keine Rücksicht zu nehmen. Es ist ja Ihr Haus.«
Die Atmosphäre wurde zusehends herzlicher. Meine Frau servierte Tee und Salzgebäck.
Dov fingerte am Unterteil seiner Armlehne. »Was mich kolossal interessieren würde …«
»Ja? Was?«
»Ob hier noch der Kaugummi pickt. Er war rot, wenn ich nicht irre.«
»Blödsinn«, widersprach Lucy. »Er war gelb.«
»Rot!«
Die Feindseligkeiten flammten wieder auf. Können denn zwei zivilisierte Menschen keine fünf Minuten miteinander sprechen, ohne zu streiten? Als ob es auf solche Lappalien ankäme! Zufällig war der Kaugummi grün, ich wusste es ganz genau.
»Einer Ihrer Gäste hat ihn vorige Woche hingeklebt«, erläuterte Dov. »Ein hochgewachsener, gutgekleideter Mann. Während Ihre Frau in die Küche ging, nahm er den Kaugummi aus dem Mund, blickte sich um, ob ihn jemand beobachtete, und dann – wie gesagt.«
»Köstlich«, kicherte meine Frau. »Was Sie alles sehen!«
»Da wir kein Fernsehgerät besitzen, müssen wir uns auf andere Weise Unterhaltung verschaffen. Sie haben doch nichts dagegen?«
»Keine Spur.«
»Aber Sie sollten besser auf den Fensterputzer aufpassen, der einmal in der Woche zu Ihnen kommt. Auf den im grauen Arbeitskittel. Er geht dann immer in Ihr Badezimmer und benutzt Ihr Deodorant.«
»Wirklich? Sie können sogar in unser Badezimmer sehen?«
»Nicht sehr gut. Wir sehen höchstens, wer unter der Dusche steht.«
Die nächste Warnung bezog sich auf unseren Babysitter.
»Sobald Ihr Kleiner einschläft«, eröffnete uns Lucy, »zieht sich das Mädchen in Ihr Schlafzimmer zurück. Mit ihrem Liebhaber. Einem Studenten. Mit randloser Brille.«
»Wie ist denn die Aussicht ins Schlafzimmer?«
»Nicht schlecht. Nur die Vorhänge stören, das sagte ich Ihnen ja schon. Außerdem missfällt mir das Blumenmuster.«
»Ist wenigstens die Beleuchtung ausreichend?«
»Wenn ich die Wahrheit sagen soll: Nein. Manchmal sind überhaupt nur schattenhafte Konturen zu sehen. Fotografieren kann man so etwas nicht.«
»Die Beleuchtungskörper in unserem Schlaf zimmer«, entschuldigte ich mich, »sind eigentlich mehr fürs Lesen gedacht. Wir lesen sehr viel im Bett, meine Frau und ich.«
»Ich weiß, ich weiß.
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