Die netten Nachbarn
dicken Selma«, begann er seinen Bericht, »die ewige Braut unseres Cafétiers Gusti. Ein prachtvolles Mädel, treu, liebevoll, häuslich und, wie gesagt, sehr dick. Die beiden lebten seit Jahren zusammen, aber von Hochzeit war nie die Rede. Das fiel der dicken Selma allmählich auf, und nach einigem Nachdenken entdeckte sie auch die Ursache. ›Gut‹, sagte sie sich, ›ich werde abnehmen. Wenn ich erst einmal mein überschüssiges Fett los bin, ist alles in Ordnung.‹ Was tut man, um abzunehmen? Man lässt sich massieren. Gusti kannte eine Masseuse, mit der er auf bestem Fuß stand, ohne dass es zu etwas geführt hätte – vielleicht weil auch diese Dame sehr dick war, genau wie Selma. Sie wusste um das Geheimnis der Abmagerungsmassage und versprach, Selma innerhalb Monatsfrist zu entfetten. Du kannst dir denken, wie es dabei zugegangen ist. Die dicke Selma lag auf der Pritsche, und die Masseuse fiel über sie her, schlug mit den Handkanten auf sie ein, knetete sie, rollte sie vom Bauch auf den Rücken und vom Rücken auf den Bauch, Tag für Tag, manchmal drei Stunden lang. Ein Pfund nach dem anderen verschwand, das Fett wich fraulichem Charme, bis dahin verborgene weibliche Reize traten zutage, und nach einem Monat führte Gusti die Geliebte seines Herzens zum Altar. Alle Hochzeitsgäste waren sich darüber einig, dass sie noch nie eine so hübsche, schlanke Braut gesehen hatten wie Abigail.«
»Abigail?«, unterbrach ich. »Wer ist Abigail?«
»Die Masseuse«, antwortete Jossele. »Oder hast du geglaubt, die dicke Selma hätte vom Massieren abgenommen?«
»Natürlich nicht.« Diesmal fasste ich mich etwas rascher. »Das war mir von vornherein klar. Aber die Geschichte widerspricht meinen Moralbegriffen. Einen Mann, der gleich mit zwei Frauen in Sünde lebt, kann ich nicht brauchen.«
»Dann bleibt nur noch Coco, der Bildhauer.« Jossele holte Atem und begann. »Es ist eine mystische, fast schon ein wenig unheimliche Geschichte aus den Gefilden der Kunst und Kultur. Coco, ein nicht unbegabter Bildhauer, hatte in Frankreich und Italien ausgestellt und mehrere Preise gewonnen, aber er fühlte, dass er sein wirkliches Meisterwerk erst noch schaffen musste. Eines Morgens überkam ihn die Inspiration mit solcher Macht, dass er sein Atelier versperrte und fieberhaft an der Skulptur eines jungen Frauenkörpers zu arbeiten begann. Er geriet in einen wahren Taumel der Kreativität, unterbrach seine Arbeit immer nur für ganz kurze Zeit, um körperliche Bedürfnisse zu stillen, und ließ die Statue keine Minute lang allein. Zum Schluss – und niemand, der ›My Fair Lady‹ gesehen hat, wird davon überrascht sein – verliebte er sich in seine eigene Schöpfung. Er nannte sie ›Venus von Gilead‹, und wenn er schlaflos auf seinem Bett lag, flüsterte er ihren Namen leise und zärtlich in die Dunkelheit. Das Wunder geschah – die Götter erbarmten sich seiner und hauchten der Statue Leben ein. In einer sternklaren Nacht verließ die Venus von Gilead ihr Piedestal, trat an Cocos Bett, beugte sich zu ihm nieder und sagte: ›Ich liebe dich!‹ Auf Erden lebt seither kein glücklicherer Mensch als Coco. Nur ein einziger Wermutstropfen ist in seine Seligkeit gefallen: Er kann sich mit seiner Geliebten nicht in der Öffentlichkeit zeigen.«
»Warum nicht?«, fragte ich. »Soviel ich weiß, ist Coco Junggeselle?«
»Das stimmt«, bestätigte Jossele. »Aber seine Geliebte besteht aus einem nierenförmigen Marmorblock mit einem ovalen Loch in der Mitte und zwei schrägen Metallstangen, die oben durch eine Dachrinne verbunden sind. Ich vergaß zu sagen, dass Coco ein abstrakter Bildhauer ist.«
Wie man Freunde gewinnt
Eines Abends klingelte es an unserer Tür. Sofort sprang die beste Ehefrau von allen auf, eilte quer durchs Zimmer auf mich zu und sagte: »Geh aufmachen.« Vor der Tür standen die Großmanns. Dov und Lucy Großmann, ein nettes Ehepaar mittleren Alters und in Pantoffeln. Da wir einander noch nie direkt begegnet waren, stellten sie sich vor und entschuldigten sich für die Störung zu so später Stunde.
»Wir sind ja Nachbarn«, sagten sie. »Dürfen wir für einen Augenblick eintreten?«
»Bitte sehr.«
Mit erstaunlicher Zielsicherheit steuerten die Großmanns in den Salon, umkreisten den Flügel und hielten vor dem Teewagen inne.
»Siehst du?«, wandte sich Lucy triumphierend an ihren Gatten. »Es ist keine Nähmaschine.«
»Ja, ja, schon gut.« Dovs Gesicht rötete sich vor Ärger. »Du hast
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