Die netten Nachbarn
Aber manchmal kann einen das schon ärgern, glauben Sie mir.«
»Dov!«, warf Lucy vorwurfsvoll dazwischen. »Musst du denn auf die Leute immer gleich losgehen?«
Und wie zum Trost gab sie uns bekannt, was sie am liebsten sah: Wenn meine Frau zum Gutenachtsagen ins Kinderzimmer ging und unser Allerjüngstes auf den Po küsste.
»Es ist eine wirkliche Freude, das mitanzusehen!« Lucys Stimme klang ganz begeistert. »Vorigen Sonntag hatten wir ein kanadisches Ehepaar zu Besuch, beide sind Innenarchitekten und beide erklärten unabhängig voneinander, dass ihnen ein so rührender Anblick noch nie untergekommen sei. Sie versprachen, uns ein richtiges Teleskop zu schicken, eins zu vierzig, das neueste Modell. Übrigens hat Dov schon daran gedacht, in Ihrem Schlafzimmer eines dieser japanischen Mikrophone anzubringen, die angeblich bis auf zwei Kilometer Entfernung funktionieren. Aber ich möchte lieber warten, bis wir uns etwas wirklich Erstklassiges leisten können, zum Beispiel aus Amerika.«
»Wie recht Sie doch haben. Bei solchen Sachen soll man nicht sparen.«
Dobby stand auf und säuberte seinen Pyjama von den Bröseln der belegten Brötchen, mit denen meine Frau ihn mittlerweile bewirtet hatte.
»Wir freuen uns wirklich, dass wir Sie endlich von Angesicht zu Angesicht kennengelernt haben«, sagte er herzlich. Hierauf versetzte er mir einen scherzhaften Rippenstoß und flüsterte mir zu:
»Achten Sie auf Ihr Gewicht, alter Knabe! Man sieht Ihren Bauch auch ohne Feldstecher bis ins gegenüberliegende Haus.«
»Ich danke Ihnen, dass Sie mich darauf aufmerksam machen«, erwiderte ich ein wenig beschämt.
»Nichts zu danken. Wenn man einem Nachbarn helfen kann, dann soll man es tun, finden Sie nicht auch?«
»Natürlich.«
»Und finden Sie nicht, dass das Blumenmuster auf Ihren Vorhängen –«
»Sie haben vollkommen recht.«
Wir baten die Großmanns, recht bald wiederzukommen. Ein wenig später sahen wir im fünften Stock des gegenüberliegenden Hauses das Licht angehen. Im Fensterrahmen wurde Dobbys schlanke Gestalt sichtbar. Als er den Feldstecher aus Hongkong ansetzte, winkten wir ihm. Er winkte zu rück.
Kein Zweifel: Wir hatten neue Freunde gewonnen.
Neues von der Kunstbörse
Vor einigen Tagen hielt mich mein Nachbar Felix Selig im Stiegenhaus an.
»Entschuldigen Sie – fahren Sie wieder nach Amerika?«
»Nein. Warum?«
»Macht nichts. Ich wollte Sie bitten, mir das Musical ›Hello Dolly!‹ zu kaufen. Aber wenn Sie nicht nach Amerika fahren, schreibe ich meinem Schwager.«
Es dauerte eine Zeitlang, bevor ich diese rätselhaften Äußerungen durchschaute. Die alte Apothekerswitwe an der Ecke hatte im vergangenen Sommer ihre Verwandten in London besucht und bei dieser Gelegenheit die Bühnenrechte für drei Kriminalstücke von Agatha Christie erworben, die sie dann mit beachtlichem Profit an mehrere Theater weiterverkauft hat. Nach Seligs Informationen war sie nicht als Einzige in dieses neue Geschäft eingestiegen. Unsere Theater haben Hochkonjunktur, und der Import von Bühnenrechten gilt derzeit als das große Geschäft. Besonders mit Musicals kann man wirkliches Geld verdienen.
»Die Wäschereibesitzerin im zweiten Stock hat drei Dürrenmatts«, berichtete Felix. »Das Kammertheater Tel Aviv und das Stadttheater Haifa raufen sich um die Rechte, aber sie verkauft noch nicht …«
Im Showgeschäft muss man die Augen offen halten. Man muss, wie der Franzose sagt, auf dem qui vive sein. Apropos Franzose: Da wollte unsere Habima von dem bekannten französischen Dramatiker Jean Anouilh die hebräischen Aufführungsrechte seines Schauspiels »Becket« erwerben – aber die hatte ihr zwei Tage vorher ein Tischler aus Nathania weggeschnappt, durch Vermittlung seiner in Paris lebenden Schwester. Der Tischler erklärte sich bereit, der Habima die Rechte zu überlassen, falls sie ihn für das Bühnenbild engagiert. Die Verhandlungen gerieten ins Stocken, weil die Gewerkschaft der Bühnenarbeiter keine Gasttischler zulassen will, und da sie angeblich die Rechte für den neuen Ionesco besitzt …
»Sehr interessant«, unterbrach ich Seligs Informationsfluss. »Und ist es zu schwer, ausländische Bühnenrechte zu bekommen?«
»Schwer? Kinderleicht! Man braucht sich nur als israelischer Impresario, Regisseur, Schauspieler oder Platzanweiser auszugeben und ein paar Dollar auf den Tisch des Haues zu blättern, das genügt. Es ist eine sichere Investition. Vorausgesetzt, dass man sich in den Winkelzügen
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