Die netten Nachbarn
folgenden Abend gingen wir ins Kino, die ganze Familie. Der Film war auch für unsere Kleinen geeignet, ein Krimi, aber nicht zu kriminell. Gerade als es spannend zu werden versprach, griff die beste Ehefrau von allen mit zitternder Hand nach meinem Oberarm. Auch ihre Stimme zitterte.
»Ephraim … ich … das Telefon … ich bin nicht sicher, ob ich den Stecker herausgezogen habe …«
Mit einem Satz war ich im Foyer, rief Felix Selig an, entschuldigte mich für die Störung und fragte ihn, ob er vielleicht einen Lärm hörte ähnlich dem gestrigen.
Nein, es sei nichts zu hören, sagte er.
Zufrieden schlich ich auf meinen Sitz zurück und versuchte, den unterbrochenen Spannungsfaden aufzunehmen.
Zehn Minuten später wiederholte ich meinen Anruf. Man kann nie wissen.
Felix antwortete unverändert negativ, nur etwas gereizt. Beim dritten Mal hob er gar nicht erst ab. Ein klassischer Fall von guter Nachbarschaft.
Leider habe ich nicht mehr erfahren, wer der Mörder war, denn wir verließen das Kino vor Schluss des Films und rasten in polizeiwidrigem Tempo nach Hause. Friedliche Ruhe empfing uns. In unserer Erleichterung vergaßen wir den Fünfzehn-Sekunden-Spielraum, was uns dann die beruhigende Gewissheit verschaffte, dass die Alarmanlage nichts von ihrer Lautstärke eingebüßt hatte.
Einige Tage später waren wir zu Besuch bei den Spiegels, unseren alten Freunden. Mitten bei der haus gemachten Eiscreme überkam mich wieder eine telepathische Zwangsvorstellung. Ich ließ die Eiscreme schmelzen, sprang in den Wagen und fuhr heim. Es war nichts.
Um diese Zeit begann ich das Publikum in öffentlichen Lokalen zu beobachten. Wenn ich beispielsweise an einem Kaffeehaustisch zwei Leute sitzen sah, die nervös um sich blickten und bei jedem stärkeren Laut zusammenfuhren, dann wusste ich: Die haben zu Hause ein einbruchssicheres Alarmsystem.
Es kam der Tag, an dem wir ein Opern-Abonnement hatten.
»Wir werden das Zeug abschalten«, entschied die beste Ehefrau von allen. »Draußen regnet’s. Bei diesem Wetter bricht niemand ein.«
»Wozu brauchen wir dann überhaupt eine Alarmanlage?«, fragte ich.
»Für unseren Seelenfrieden«, antwortete sie. Und sie hatte recht, wie immer. Der Gedanke an die ausgeschaltete Sirene versorgte uns mit Gelassenheit für drei Arien und ein Rezitativ. Dann war’s vorbei.
»Jetzt!«, zischte meine entschlusskräftige Lebensgefährtin. »Jetzt, in diesem Augenblick, wird bei uns eingebrochen!«
Auch ich konnte es ganz deutlich fühlen. Berufseinbrecher wissen aus Erfahrung, dass der durchschnittliche Alarmsystembesitzer am elften Abend das Haus verlässt, ohne die Sirene einzuschalten. Sie zählen die Tage, sie warten, sie lauern, und wenn es soweit ist – mit einem Wort: Wir fuhren nach Hause. Und fanden alles in Ordnung. Unsere Nerven und unser ganzer Gesundheitszustand begannen allmählich Verfallserscheinungen aufzuweisen.
Dem Tula-Techniker war dergleichen nicht neu. Einige seiner Kunden, erzählte er uns, hätten Wächter gemietet, die vor dem Haus patrouillierten und im Fall eines falschen Alarms nach dem Rechten sähen.
»Großartig!«, gab ich hämisch zurück. »Das kann ich ja selbst, vor meinem Haus auf und ab gehen.«
Es wurde von Tag zu Tag schlimmer. Gestern begann die Sirene zu heulen, als der Postbote über einen lockeren Draht stolperte. Meine arme Frau geriet an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Sie heulte inzwischen bei jeder Gelegenheit. Man musste etwas unternehmen.
»Ich hab’s«, sagte ich. »Wir werden ganz einfach nicht mehr ausgehen, und die Sache ist erledigt.«
So geschah’s, und so hat unsere kostspielige Alarmanlage das Einbrecherproblem endgültig aus der Welt geschafft. Besser mit der Möglichkeit eines Raubüberfalls leben als in der ständigen Furcht vor einem falschen Alarm. Wir rühren uns jetzt nicht mehr aus unseren vier Wänden, weder bei Tag noch bei Nacht.
Traktat über die Nächstenliebe
Es gab einmal Zeiten, da wurde ich noch gefragt, wie es mir geht. Ich pflegte mit gewinnendem Lächeln zu antworten: Danke, es geht mir ausgezeichnet, mein neues Buch verkauft sich wie warme Semmeln, mein Golfspiel wird immer besser, und gestern habe ich 50 Pfund im Toto gewonnen. Aber statt mich daraufhin zu lieben, reagieren die Leute mit einem brummigen Soso, und ich sollte aufhören, wie ein Besessener hinter dem Geld herzujagen.
Mit anderen Worten: Sie wollen nichts mit mir zu tun haben. Besonders in der letzten Zeit. Genauer gesagt,
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