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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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berichtete von ihrer Ausbildung zur Designerin. Hinter einer Gauloises-Wolke nahm sie sein Lächeln wahr, das sie dazu animierte, ihm von ihren Ambitionen als Fotomodell zu erzählen. Eigentlich sei ihr das Modeln nicht so wichtig, doch werde sie von anderen aus unerfindlichen Gründen immer wieder gedrängt, voll und ganz auf diese Karte zu setzen.
    »Sie brauchen nicht so zu tun, als wüssten Sie nicht, woran das liegt«, entgegnete Berger. »Es dürfte Ihnen nicht entgangen sein, welche Wirkung Sie auf andere ausüben. Vielleicht haben Sie es schon immer gewusst.«
    »Nicht immer«, rutschte es ihr heraus. »Ich bin eher das hässliche Entlein, das im falschen Nest gelandet ist. Im Kindergarten und in der Grundschule wollte niemand etwas mit mir zu tun haben.«
    »Das kann ich mir vorstellen«, entgegnete er und nickte.
    Sie hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, plapperte jedoch immer weiter. Über das Leben in Amsterdam, ihre Fotoshootings, die Partys. Um ein Haar hätte sie Zakos Namen erwähnt, besann sich aber im letzten Augenblick.
    »Sie wollten mir doch erzählen, wie Sie Mailin kennengelernt haben«, erinnerte sie ihn.
    Erneut glitten seine Mundwinkel auseinander, und die kleinen Mäusezähne kamen zum Vorschein. Zweifellos war ihm nicht entgangen, wie abrupt sie das Thema gewechselt hatte.
    »Ich mag Mailin«, sagte er. »Ich mag Sie beide, egal wie unterschiedlich Sie sind.«
    »Warum wollten Sie Mailin als Gast in Ihrer Talkshow haben?«
    Er lehnte sich zurück und verzog leicht das Gesicht. Offenbar hatte er Rückenschmerzen.
    »Was ich tue, Liss, unterscheidet sich von diesem abgestandenen Reality- TV , das den Leuten längst zum Hals raushängt. Es passiert etwas, wenn ich im Fernsehen auftauche. Meine Sendung enthält ein unkontrollierbares Element, etwas Unheimliches und potenziell Gefährliches. In erster Linie benutze ich mich selbst, mein Leben. Meinen eigenen Missbrauch, mein Scheitern. Gewalt und Sex. Dann lade ich ein paar Einfaltspinsel und C-Promis ein, die mit allen Mitteln ins Fernsehen wollen. Am Anfang haben sie mich wie einen Aussätzigen behandelt, doch inzwischen schmücken sich Politiker und Medienparasiten mit meiner Nähe. Das wertet sie auf. Mit diesen Gästen kann ich tun und lassen, was ich will. Sie lassen sich von mir an der Nase herumführen und kommen sich wahnsinnig cool vor.«
    Er stieß ein hohles Lachen aus und begann zu husten.
    »Aber die anderen Gäste, die ich einlade, sollen auf Konfrontationskurs gehen«, fuhr er fort, als er wieder zu Atem gekommen war. »Ich habe ein paar Artikel von Mailin in der Zeitung gelesen und danach Kontakt zu ihr aufgenommen. Sie ist genauso scharfsinnig, wie ich sie mir vorgestellt habe, aber dennoch anders. Keine verbohrte Feministin. Jemand, der an der Realität interessiert ist, nicht an einer Ideologie.«
    »Haben Sie Mailin mehrmals getroffen?«
    »Drei Mal. Vor ein paar Wochen hat sie mich zu Hause besucht. Wir haben uns hier zusammengesetzt und gemeinsam die Talkshow geplant.«
    »Das glaube ich Ihnen nicht. Auf so etwas hätte sich Mailin niemals eingelassen.«
    Er lachte erneut.
    »Das werden wir nie erfahren. Bestimmt wären die Fetzen geflogen. Ich mag es, wenn die Leute kein Blatt vor den Mund nehmen. Aber sie ist ja leider nicht aufgetaucht.«
    »Sie hat sich aber noch bei Ihnen gemeldet.«
    »Einen Tag vor der Sendung hat sie mich angerufen«, bestätigte er. »Sie sagte, sie müsse mit mir etwas Dringendes besprechen, irgendetwas Organisatorisches, das vor der Talkshow noch geklärt werden müsse. Sie war fast übertrieben gründlich in ihrer Vorbereitung. Also haben wir verabredet, dass ich auf dem Weg ins Studio einen Abstecher zu ihrer Praxis mache. Was ich auch getan habe.«
    »Sie haben sie also an diesem Abend gesehen?«
    »Sie hat mich benachrichtigt, dass sie sich ein wenig verspäten würde, und mir den Code für das Türschloss mitgeteilt. Ich habe mich dann wie vereinbart ins Wartezimmer gesetzt. Aber sie ist nie erschienen.«
    »Sie saßen im Wartezimmer?«
    »Das habe ich alles schon der Polizei erzählt, Liss. Wenn Sie weiterfragen, hege ich langsam den Verdacht, dass Sie auch bei der Polizei sind.«
    Hinter dem ironischen Tonfall nahm sie etwas Drohendes wahr, eine Warnung. Sie drückte die Zigarette aus und entschied sich für eine andere Strategie.
    »Glauben Sie, dass wir ohne Tabus zurechtkommen?«
    Er nahm einen tiefen Zug und behielt den Rauch für einen Moment im Mund, ehe er ihn mit einem

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