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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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er desinteressiert.
    »Wie sind uns vorgestern begegnet. In der Praxis von Mailin Bjerke.«
    Im Gegensatz zum letzten Mal wirkte er vollkommen beherrscht.
    »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
    Doch Liss konnte sich stets an Gesichter erinnern.
    »Ich weiß, dass Sie es waren. Sie haben etwas von dort mitgenommen. Wie heißen Sie?«
    Er drehte sich um und rannte mit dem Mädchen im Anorak davon. Liss lief hinter ihnen her.
    »Warum haben Sie eine Seite aus ihrem Notizbuch herausgerissen?«
    »Wovon reden Sie, verdammt?«
    »Ich habe es der Polizei erzählt. Die suchen Sie.«
    Er blieb stehen und trat einen Schritt auf sie zu. »Wenn du mich noch einmal blöd anquatschst, schlage ich dir die Fresse ein!«
    Er nahm das Mädchen an der Hand und verschwand mit ihr in Richtung Ausgang.

12
    Freitag, 19. Dezember
    S ie rief Viljam an. Im Hintergrund hörte sie jemand rufen, als er sich meldete. Er verstand sie nicht, und sie musste es noch einmal wiederholen.
    »Ich bin auf einem Seminar«, entschuldigte er sich. »In einer Minute geht’s weiter. Was ist mit Mailins Auto?«
    »Ich muss es mir ausleihen.«
    »Ausleihen? Also ich weiß nicht recht …«
    »Warum nicht?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht wird es als Beweismaterial … ach, entschuldige, ich bin so durcheinander. Das ist sicher in Ordnung. Ich habe noch einen Ersatzschlüssel. Wann brauchst du ihn?«
    Sie hatte keine genauen Vorstellungen.
    »Ich fahre morgen Nachmittag zur Hütte. Dann komme ich vorher bei dir vorbei und hole den Schlüssel. Muss erst noch was erledigen.«
    *
    Der zierliche Mann, der die Tür öffnete, war Mitte vierzig und hatte dünne Haare mit ausgeprägten Geheimratsecken. Er trug einen Anzug und ein offenes weißes Hemd.
    »Liss Bjerke, nehme ich an«, sagte er mit leichtem Lispeln. Als sie dies bestätigte, ließ er sie herein.
    »Mein Name ist Odd. Ich bin der Butler.«
    Letzteres fügte er mit einer knappen Verbeugung hinzu, bevor er den mit Teppich ausgelegten Flur entlangging und eine Tür öffnete. »Ihr Besuch ist da, Herr Berger.«
    Liss vernahm ein Brummen. Der Mann, der Odd hieß, winkte sie heran.
    »Herr Berger empfängt Sie im Salon.«
    Die hochgestochene Formulierung hätte sie fast zum Lachen gebracht, doch sie nahm sich zusammen.
    Der helle Salon hatte eine hohe Decke, breite Fenster und einen Altan, der auf die Løvenskiolds gate hinausging. Der Mann, den sie von Zeitungsfotos und aus dem Fernsehen kannte, saß am Fenster hinter einem Schreibtisch und tippte mit zwei Fingern auf einer Computertastatur. In Wirklichkeit sah er überraschend alt aus, das Gesicht war fahl und eingesunken.
    »Setzen Sie sich«, sagte er, ohne aufzublicken.
    Sie blieb stehen. Sie hatte sich noch nie gern herumkommandieren lassen, schon gar nicht von älteren Männern.
    Endlich wandte sich Berger ihr zu. »Wie schön, dass Sie stehen geblieben sind«, sagte er lächelnd, während er sie von oben bis unten musterte. »Eine Frau wie Sie sollte sich erst setzen, wenn man ihr persönlich einen Platz anbietet.«
    Er zeigte auf ein Sofa, das an der gegenüberliegenden Wand stand. »Sie sehen Ihrer Schwester gar nicht ähnlich«, stellte er fest. »Ganz und gar nicht. Kaffee?«
    Er stand auf und füllte plötzlich den ganzen Raum aus. Auf seinem Schreibtisch stand eine Messingglocke. Er nahm sie und läutete. Im nächsten Augenblick stand Odd in der Tür.
    »Wir hätten gern einen Kaffee«, sagte Berger.
    Odd wandte sich an Liss.
    »Latte? Espresso, Cappuccino?«
    Sein Lispeln war jetzt deutlicher zu hören. Sie fragte sich, ob es nicht einstudiert war.
    »Gerne einen doppelten Espresso«, antwortete sie.
    Erneut diese kurze Verbeugung, bevor er verschwand. Das Ganze wirkte zunehmend lächerlich, und Liss fragte sich, welch eigentümlichem Schauspiel sie hier beiwohnte.
    »Er hat sich als Ihr Butler vorgestellt«, sagte sie und nahm zögerlich Platz.
    »Genau das ist er auch«, entgegnete Berger. »Er wurde an der besten Butlerakademie in London ausgebildet. Ich weiß gar nicht, was ich ohne diesen Mann täte.«
    »Ist bestimmt gut für Ihr Image«, bemerkte Liss.
    Berger hinkte zu einem Stuhl, der sich auf der anderen Seite des Tisches befand.
    »Selbstverständlich. Davon lebe ich ja schließlich. Das Jahresgehalt eines Butlers hält sich außerdem in Grenzen und macht sich mehr als bezahlt.«
    Er angelte eine Schachtel Gauloises aus seiner Tasche, bot ihr eine an und benutzte ein Feuerzeug, in das die Initialen EB eingraviert waren.
    »Das

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