Die Netzhaut
Geschenk eines Sponsors«, erklärte er lächelnd, als er sah, wie sie das Feuerzeug musterte. »Die Gnade meiner Sponsoren ist die größte Gnade, die ich im Leben erfahre. Ich lebe durch Gottes Gnade und von ihren Gnaden.«
Die Tür glitt lautlos auf. Erneut erschien Odd, mit einem Tablett, auf dem eine Silberkanne, Tassen, Zucker und ein kleines Kännchen mit Milch standen. Er hatte dünne weiße Handschuhe angezogen, und diesmal konnte Liss ein kurzes Auflachen nicht unterdrücken. Niemand fragte, worüber sie lachte. Nachdem Odd eingeschenkt hatte, zog er sich genauso lautlos zurück, wie er gekommen war.
»Wie Sie wissen, habe ich Ihre Schwester getroffen«, begann Berger, »aber nicht an dem Abend, an dem sie im Studio sein sollte.«
Liss hatte den Eindruck, als sagte er das, um ihr zuvorzukommen.
Er betrachtete sie. »Und jetzt wollen Sie wissen, was mit Ihrer Schwester geschehen ist. Sehr verständlich. Wie ich hörte, sind Sie gerade aus Amsterdam gekommen.«
Er entblößte etwas, das wie winzige Milchzähne aussah. Sie verliehen seinem Lächeln eine kindliche Fröhlichkeit, die in Kontrast zu seinem erschöpften Gesicht und seiner mächtigen Gestalt stand.
»Wie ich höre, verteidigen Sie den sexuellen Missbrauch an Kindern«, entgegnete sie und zog an der starken Zigarette.
»Tue ich das?« Er gähnte. »Es gehört zu meinem Job, die Leute zu provozieren und das in den Raum zu stellen, was die Leute lieben und hassen. Sie kennen doch wohl die Einschaltquoten meiner Sendung, oder etwa nicht? Letztes Mal hatten wir über 900 000 Zuschauer und sind drauf und dran, die magische Grenze von einer Million zu knacken. Nach jeder Sendung müssen wir unsere Telefonzentrale wegen Überlastung schließen. Allein die Osloer Zeitungen haben nach der letzten
Tabu
-Talkshow auf über fünfundzwanzig Seiten berichtet. Aber lassen Sie uns lieber das Thema wechseln. Ich empfange nur selten Besuch, vor allem von unbekannten Frauen!«
»Worüber sollten wir sonst reden?«
»Über Sie, Frau Bjerke. Das scheint mir viel interessanter zu sein. Eine junge Frau, die nach Amsterdam geht, um Designerin zu werden, aber immer mehr Zeit in ihren Job als Fotomodell investiert, die zweifelhafte Aufträge annimmt, zumindest aus kleinbürgerlicher Sicht. Lassen Sie uns über Ihre ausschweifenden Partys und die Wahl Ihrer Lover sprechen.«
Sie setzte ihre Tasse so rasch ab, dass der Kaffee überschwappte. Beinahe hätte sie ihn gefragt, woher zum Teufel er das wusste, zwang sich jedoch zu schweigen. Verscheuchte den Gedanken, dass jemand in Oslo nach ihr suchen könnte.
Wouters!,
zuckte es durch ihren Kopf.
»Erzählen Sie von sich, Liss«, forderte Berger sie auf. »Ich habe eine Schwäche für gute Geschichten.«
Sie zwinkerte ein paarmal und sammelte sich. Hatte Mailin diesem Kerl von ihr erzählt? Das passte eigentlich nicht zu ihr. Liss blickte zu ihm hinüber. Seine schwarzgefärbten Haare hingen ihm in die Stirn und betonten eher sein verlebtes Gesicht, das an ein Schlachtfeld erinnerte. Seine Augen hinter der eckigen Brille blickten jedoch sanft und wach. Im Internet hatte sie sich ein paar Ausschnitte aus
Tabu
angesehen. Berger sprach über Kinder und argumentierte, dass es in einer freien Marktwirtschaft unumgänglich sei, dass auch die kindliche Sexualität zu einer Ware werde. Doping im Leistungssport bezeichnete er als unverzichtbar, wenn weiterhin das Bedürfnis der Zuschauer befriedigt werden solle, dem Übermenschlichen zu huldigen. Heroin sei eine interessantere und reinere Droge als Alkohol, die nur erstaunlich wenige Menschen töte, behauptete er. Erst die Kriminalisierung mit all ihren Folgeerscheinungen mache aus dem Heroin eine tödliche Bedrohung. Man solle nur an verunreinigte Spritzen, ungeschützten Sex und Auftragsmorde im Drogenmilieu denken.
»Ich habe wirklich eine Schwäche für gute Geschichten«, wiederholte er. »Vor allem über Leute wie Sie. Allerdings ist das Interesse an jungen, attraktiven Frauen mehr und mehr intellektueller Natur.« Er machte eine resignierte Handbewegung. »Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten«, seufzte er. »Aber genug davon. Erzählen Sie mir über sich. Im Gegenzug verspreche ich, Ihnen alles zu sagen, was ich weiß.«
Darauf war Liss nicht vorbereitet gewesen. Für einen Augenblick war sie so verwirrt, dass sie sich wahrscheinlich wie ein kleines Mädchen auf seinen Schoß gesetzt hätte, hätte er dies vorgeschlagen. Sie beschloss, auf der Hut zu sein, und
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