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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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der Inhalt seiner Worte passte zu seiner Tonlage. Verzweiflung? Trauer? Schock? Erneut ließ Roar Horvath seinen Blick über das blasse Gesicht gleiten. Falls der junge Mann ihm etwas vorspielte, übertrieb er es jedenfalls nicht.
    »Beginnen Sie bitte mit Ihrer letzten Begegnung mit Mailin Bjerke.«
    Viljam Vogt-Nielsen schien etwas einzufallen. »Kaffee?«, fragte er.
    Roar Horvath lehnte dankend ab, während Viken keine Antwort gab, worauf der junge Mann wieder auf seinen Stuhl zurücksank. »Ich habe sie zum letzten Mal an dem Tag vor ihrem Verschwinden gesehen, also am Mittwoch, dem 10. Dezember. Es war kurz vor fünf, Viertel vor«, korrigierte er sich. »Sie stand draußen auf der Treppe und trug einen Rucksack. Wir haben uns umarmt. Dann habe ich die Tür geschlossen. Das war unsere letzte …« Seine Stimme geriet ins Wanken, und er brauchte ein paar Sekunden, ehe er fortfahren konnte. »Sie wollte zur Hütte fahren. Das tat sie oft, um in Ruhe zu arbeiten. Es ist ein stiller und schöner Ort, an dem man von niemand gestört wird. Nicht mal Handyempfang hat man dort.«
    »Worüber haben Sie geredet, bevor sie gefahren ist?«, wollte Roar Horvath wissen.
    Viljam Vogt-Nielsen musste kurz nachdenken. Danach war er bisher offenbar nicht gefragt worden.
    »Wir haben über die Talkshow
Tabu
gesprochen, an der sie am nächsten Tag teilnehmen wollte. Das wissen Sie ja sicherlich.«
    Der Polizist nickte kurz, wollte ihn nicht unterbrechen.
    »Wir hatten an den vergangenen Tagen viel darüber diskutiert. Mailin ist nicht unbedingt ein Fan von Berger. Ich fragte sie, ob sie nicht glaube, ihm mit ihrer Anwesenheit gewissermaßen ein seriöses Alibi zu verschaffen. Aber sie verfolgte mit ihrer Teilnahme wohl ein ganz bestimmtes Ziel.«
    Roar kannte eine fast identische Aussage bereits aus dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll.
    »Können Sie uns Näheres darüber sagen?«
    »Sie hatte etwas über Berger erfahren. Ich glaube, es ging um einen früheren Patienten, der zu ihr Kontakt aufgenommen hat. Mailin war sehr aufgeregt. Es hörte sich so an, als hätte Berger früher mal Sex mit einem Minderjährigen gehabt.«
    »Kennen Sie den Namen?«
    Viljam Vogt-Nielsen schüttelte den Kopf.
    »Mailin hat ihre Schweigepflicht immer sehr ernst genommen, auch mir gegenüber.«
    »Und dennoch meinen Sie, dass sie diese Sache in der Livesendung zur Sprache bringen wollte?«
    »Mailin hat nicht genau gesagt, was sie vorhatte. Aber sie wollte ihm die närrische Clownsmaske vom Gesicht reißen. Sie wollte Berger einen Schock versetzen.«
    »Clownsmaske. Hat sie dieses Wort benutzt?«
    »Die närrische Clownsmaske. Mailin hatte Berger bereits ein paarmal zuvor getroffen, bevor gewisse Dinge aus seiner Vergangenheit ans Licht kamen. Sie wollte ihn noch vor der Sendung kontaktieren, um ihm die Chance zu geben, die Talkshow abzusagen.«
    Roar Horvath machte sich während des Gesprächs keine Notizen. Er vertraute auf sein Gedächtnis, das ihn normalerweise nicht im Stich ließ.
    »Das war das Letzte, worüber Sie beide gesprochen haben?«
    Viljam strich sich mit den Fingern ein paarmal über die Stirn, als versuche er sich genau zu erinnern.
    »Sie sagte, dass sie noch zur Post wolle, um etwas auf ihr Konto einzuzahlen.«
    »Eine Bareinzahlung?«
    »Einige ihrer Patienten bezahlten ihr die Stunden in bar. Ein Mal pro Woche hat sie diese Beträge auf ihr Konto eingezahlt.«
    »Das nächste Postamt ist am Carl Berners plass, richtig?« Roar warf einen Blick auf die Uhr. Dort würden sie noch vorbeischauen können, ehe es zumachte.
    »Was haben Sie an diesem Mittwoch gemacht, nachdem Mailin weggefahren ist?«
    »Am Nachmittag war ich zu Hause und habe gelesen. Um kurz vor halb neun bin ich dann zum Training gefahren. Mittwochs spiele ich immer mit ein paar Freunden. Gegen elf war ich wieder zu Hause und habe noch die Spätnachrichten im Fernsehen gesehen.«
    »Und am nächsten Tag?«
    »Am Nachmittag hatte ich eine Vorlesung. Danach war ich im Lesesaal. Circa um drei war ich kurz zu Hause, ehe ich zur Arbeit gefahren bin.«
    »Zur Arbeit?«
    »Ich beteilige mich an einer Studenteninitiative, sooft ich Zeit dazu habe. Wir bieten den Leuten eine kostenlose juristische Beratung an.«
    Ein junger Mann, der sich gewählt ausdrückte und sozial engagierte, dachte Roar.
    »War Mailin hier, während Sie am Donnerstag unterwegs waren?«
    »Ich glaub, nicht. Dann hätte sie bestimmt den Rucksack oder ihren Laptop hiergelassen. Aber ich habe mehrere

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