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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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Stunden vor ihrem Tod aufgehört haben muss.«
    Viken gab Lupe und Pupillenleuchte an Roar Horvath weiter.
    »Stiche mit einem spitzen Gegenstand«, bemerkte er, während sein jüngerer Kollege die verletzten Augäpfel näher betrachtete. »Mehrere Male. Mit einem Gegenstand, der gröber als eine Spritze ist. Was für eine Absicht kann er damit verfolgt haben?«
    »Er wollte, dass das Opfer nichts sieht«, schlug Horvath vor.
    »Da wäre es doch einfacher gewesen, eine Augenbinde zu benutzen«, entgegnete Viken.
    Jennifer sagte: »Ich habe einige Informationen, die eventuell für Sie wichtig sein könnten.«
    In Vikens Blick lag wie immer etwas Prüfendes, das er nicht zu kaschieren versuchte. So wird man wahrscheinlich, wenn man seit Jahrzehnten ermittelt, dachte sie. Roar Horvath richtete sich auf und betrachtete sie ebenfalls, aber das machte ihr nichts aus. Sie hatte längst akzeptiert, dass sie nicht mehr die Figur einer Zwanzigjährigen hatte. Doch es hatte erstaunlich viele Vorteile, jenseits der vierzig zu sein, tröstete sie sich und spürte, dass ihre Wangen brannten, was wiederum nicht gerade als Pluspunkt zu verbuchen war. Nicht mal als junges Mädchen war sie so heftig errötet wie in letzter Zeit.
    »Vor fünf Jahren wurde ein neunzehnjähriges Mädchen in Bergen ermordet«, begann sie. »Sie wurde in einem südlich der Stadt gelegenen Waldstück gefunden. Der Fall wurde nie aufgeklärt.«
    »An diesen Fall können sich noch alle erinnern«, sagte Viken, dessen Stimme plötzlich ungeduldig klang. »Gott sei Dank leben wir in einem Land, in dem ein Mord nicht nach drei Tagen schon wieder vergessen ist.«
    Sie war sich nicht sicher, worauf er hinauswollte, entschied sich aber, seinen Kommentar zu überhören.
    »Das Mädchen wurde an einen Baum gefesselt gefunden. Sie trug Handschellen und war erfroren.«
    »So weit sind wir informiert«, brummte Viken. »Obwohl die Ermittler größte Diskretion an den Tag gelegt haben, was die Details betrifft.«
    »Was mir bei Mailin Bjerke sofort auffiel«, fuhr Jennifer fort, »waren ihre verletzten Augen. Das Mädchen in Bergen hatte ähnliche Augenverletzungen.«
    »Woher wollen Sie das wissen?«
    Sie erklärte es ihm. Wenige Monate, nachdem das Mädchen gefunden worden war, hatte sie an einem Seminar am Gades-Institut in Bergen teilgenommen. Ein Kollege, den sie gut kannte, hatte am Abend an der Hotelbar über den Fall des Mädchens gesprochen. Ganz im Vertrauen natürlich.
    »Ich habe mir erlaubt, diesen Kollegen heute anzurufen.« Sie machte eine Pause und nahm Vikens wachsende Irritation wahr.
    »Er fand die Ähnlichkeit der beiden Fälle frappierend«, sagte sie. »Die Augenlider blieben beide Male völlig unverletzt. Der Täter muss die Augen gewaltsam geöffnet und mit einer Nadel oder einem spitzen Gegenstand in die Pupillen gestochen haben. Eine der Wunden ist allerdings größer. Als Waffe kommt so etwas wie eine Schraube mit relativ großem Gewinde infrage. Jedenfalls wurde dieser Gegenstand mitten durch die Hornhaut geschraubt.«
    Sie ließ die Erklärung kurz auf ihre Zuhörer wirken.
    »Außerdem wurden beide Leichen an einem entlegenen Ort gefunden.«
    Zunächst blieb Viken stumm. Dann erwiderte er gereizt: »Sie geben hier Informationen an jemand weiter, der in unseren Fall nicht involviert ist!«
    Jennifers Zorn loderte auf.
    »Ich kann Ihnen garantieren, dass diese Informationen vertraulich behandelt werden«, sagte sie so beherrscht wie möglich. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie sich irgendeine Art der Anerkennung erwartet hatte.
    »Na gut, ich habe diesem Fall jedenfalls genug Aufmerksamkeit gewidmet«, entgegnete sie abschließend. »Sie können ja Kontakt mit Bergen aufnehmen, wenn Sie meinen, dass es von Interesse ist.«
    »Selbstverständlich«, erwiderte Viken säuerlich. »Alles ist von Interesse.«
    »Mailin Bjerke scheint ja mit Drogen betäubt worden zu sein«, schaltete sich Roar Horvath in versöhnlichem Ton ein. »Wie war das bei dem Mädchen in Bergen?«
    Jennifer erlaubte sich ein vages Lächeln, als ihre Blicke sich trafen.
    »Da muss ich Sie enttäuschen. Dieses Mädchen war völlig clean.«
    Er nickte verhalten, als wolle er zeigen, dass zumindest er an ihren Informationen interessiert war.

3
    Freitag, 26. Dezember
    S ie saßen jeder auf einem Stuhl in der Eingangshalle. Der Mann mittleren Alters erblickte Jennifer zuerst und stand auf. Unter dem Mantel hatte er ein Cordsakko an, trug eine runde Brille und einen grauen

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