Die neue arabische Welt
existierende Islamismus iranischer Prägung spielt für die Protest- und Demokratiebewegungen in der arabischen Welt keine Rolle. Je demokratischer und offener die arabischen Gesellschaften werden, desto geringer wird die Möglichkeit Irans werden, gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Das neue Ägypten und andere arabische Staaten werden dennoch voraussichtlich ein entspanntes Verhältnis zu Teheran suchen und sich amerikanischen Plänen, eine Front gegen Iran aufzubauen, entziehen. Sie können sich das auch eher leisten als ihre Vorgänger.
Profiteur der neuen Entwicklung ist die Türkei mit einem Zuwachs an politischem Einfluss. Die türkische Regierungs- und Staatsspitze hat früh erkannt, dass die alten arabischen Regime den Herausforderungen nicht mehr gewachsen waren, mahnte Reformen an oder stellte sich gar auf die Seite der Protestbewegungen. Dank aktiver Wirtschaftsbeziehungen hat Ankara seine Position in den arabischen Staaten bereits in den letzten acht Jahren deutlich ausgebaut.
In zweifacher Hinsicht hat die heutige Türkei für die Reformkräfte in der arabischen Welt sogar Modellcharakter: Die regierende AKP unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan demonstriert, wie eine ursprünglich islamistische Partei zu einer erfolgreichen konservativ-demokratischen Volkspartei werden kann, ohne ihre islamische Grundierung aufzugeben.
Darüber hinaus gilt vielen der türkische Staat als Vorbild für einen graduellen Übergang von einer Diktatur zu einem demokratischen System. All dies stärkt die »soft power« Ankaras. Als Nato-Mitglied wird der Türkei auch im geopolitischen Konkurrenzspiel eine stabilisierende Rolle zugeschrieben – ein westlich eingebundener Staat, der gleichwohl regionale Bedürfnisse artikulieren kann und stark genug ist, um im Zweifelsfall auch den Einfluss Irans – oder Israels – auszubalancieren.
Und Europa? Die EU-Staaten und die USA waren nicht nur vom plötzlichen Anbruch des arabischen Frühlings überrascht, sie mussten auch sehen, dass sie wenig Einfluss auf den Verlauf der revolutionären Umbrüche haben. Sie können helfen oder im Weg stehen, aber die Ergebnisse nicht bestimmen. Das gilt selbst für den Bürgerkrieg in Libyen, in den die Nato eingegriffen hat. Ob hier eine neue Diktatur, eine Stammeskonföderation oder ein demokratisches System entsteht oder der Staat in Anarchie zerfällt, wird von den libyschen Konfliktparteien, nicht von europäischen Staaten oder der Nato abhängen.
Für Europa muss das kein Schaden sein. Die Schönheit der ägyptischen und tunesischen Revolution liegt neben ihrem friedlichen Verlauf gerade in ihrer Eigenständigkeit, die alle Vorwürfe, sie sei das Werk ausländischer Agenten, ins Leere laufen ließ.
Es fällt auf, dass auf den arabischen Websites und Blogs nur wenig über Europa diskutiert wird. Die Aufbruchsgeneration ist Europa gegenüber nicht unfreundlich gesinnt, aber die europäischen Regierungen hält man, sofern ihre Politik überhaupt debattiert wird, überwiegend für zynisch. Dabei gibt es durchaus konkrete Erwartungen an Europa, die von Investitionen bis zur Unterstützung beim Aufbau demokratischer Institutionen reichen.
Tatsächlich hat Europa gerade hier eine Verantwortung. Die USA werden vor allem am Persischen Golf und im Nahen Osten engagiert bleiben, das wünschen die meisten regionalen Akteure auch, Washingtons strategische Interessen im Mittelmeerraum sind allerdings begrenzt. Gerade wenn es um die Konsolidierung demokratischer Neuanfänge, um wirtschaftlichen Aufbau und soziale Stabilisierung geht, ist Europa gefragt.
Die EU sollte deshalb den arabischen Staaten, die sich in Richtung Demokratie bewegen, eine neue Form der Partnerschaft anbieten mit größerer Offenheit für die Menschen dieser Länder – Angebote zu Ausbildung und temporärer Arbeitsmigration eingeschlossen. Dabei wird Europa auch Akteuren in diesen Ländern, die nicht zu den traditionellen Klienten europäischer Institutionen gehören, zunächst einmal einen Vertrauensvorschuss gewähren müssen.
Zwischen den Welten
Der algerische Autor
Yasmina Khadra schreibt die Geschichte
seiner Heimat – ein Besuch in Paris.
Von Stefan Simons
Geblieben ist der messerscharfe Haarschnitt, der gerade Blick, der knappe Handschlag. Sonst aber deutet nichts darauf hin, dass der schmale Mann mit den grazilen Gesten fast sein halbes Leben als Offizier der algerischen Armee diente: Yasmina Khadra, 56, gefeierter Bestsellerautor,
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