Die neue arabische Welt
demokratischen Aufbruchs in Tunesien wird stark von europäischer Unterstützung abhängen. Das kann sich nicht nur auf Hilfen zur Vorbereitung von Wahlen oder bei einer Justiz- und Polizeireform beschränken, sondern müsste auch eine weitere Öffnung der europäischen Märkte für tunesische Agrarprodukte beinhalten.
In Ägypten steht das Militär vor der Herausforderung, einen demokratischen Neuanfang zu schützen und gleichzeitig den eigenen Rückzug von der Macht zu verhandeln. Es wird Kompromisse geben, die eine gewisse Wächterfunktion des Militärs und womöglich auch den Erhalt wirtschaftlicher und sozialer Privilegien bedeuten könnten. Ein demokratisches Ägypten wird Schwächen haben, es kann aber gleichwohl eine funktionierende Demokratie werden. Die Vorlage dafür wird wohl weniger Dänemark sein als ein
Staat wie Indonesien, wo der Präsident und das Parlament aus freien Wahlen hervorgehen, es bei der Umsetzung mancher demokratischer Verfahren aber noch hakt.
Volker Perthes
Der habilitierte Politikwissenschaftler mit dem Spezialgebiet Naher und Mittlerer Osten leitet die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, die den Bundestag und die Bundesregierung in außen- und sicherheitspolitischen Fragen berät. Von Perthes, Jahrgang 1958, erschienen zuletzt die Bücher »Orientalische Promenaden. Der Nahe und Mittlere Osten im Umbruch« und »Der Aufstand. Die arabische Revolution und ihre Folgen«.
Sogar in Palästina und im Libanon sind perspektivisch gefestigte Demokratien denkbar, allerdings nur, wenn eine friedliche Regelung des Nahost-Konflikts gelingt. Dann würde den militanten Gruppen der Boden für ihre Widerstandsideologie entzogen, die auch die Innenpolitik blockiert. Die Palästinensergebiete wie der Libanon verfügen immerhin bereits über demokratische Verfassungen. Politische oder konfessionelle Gegensätze liefern häufig Sprengstoff, aber der Wunsch, gemeinsam einen Staat zu bilden, steht nicht in Frage.
In Jordanien, Marokko oder Kuwait, auch in Algerien und im Irak sind verhandelte, nicht-revolutionäre Übergänge zu demokratischeren Regierungsformen möglich. Jordanien, Marokko, Kuwait und vielleicht Oman könnten sich in einem Zusammenspiel von gesellschaftlichem Druck und Reformbemühungen von oben in Richtung konstitutionelle Monarchien entwickeln. In all diesen Staaten sind, mit Ausnahme Omans, bereits Elemente demokratischer Herrschaft vorhanden: gewählte Parlamente mit einer Pluralität von Parteien und nicht von vornherein feststehenden Wahlergebnissen sowie eine mehr oder weniger freie Presselandschaft. Im Irak könnten vorhandene demokratische Institutionen endlich lebendig, in Algerien das Militär allmählich aus der aktiven Politik herausgedrängt werden.
Ein völlig anderer Trend zeichnet sich in Libyen, Bahrain, wohl auch in Syrien ab: Diese Regime werden unter gesellschaftlichem Druck eher rigider; die staatlichen Institutionen genießen wenig Vertrauen; es ist nicht zu erwarten, dass Umbrüche friedlich stattfinden könnten. Das gilt, außerhalb der arabischen Welt, wohl auch in Iran.
In Libyen tobte im Frühjahr 2011 bereits ein Bürgerkrieg. Im Jemen, in Bahrain und in Syrien fürchten auch regimekritische Kräfte einen Zerfall ihrer Staaten entlang ethnischer oder konfessioneller Linien. Im Inselstaat Bahrain, der sich stark an Saudi-Arabien als Schutzmacht anlehnt, könnte der lokale Herrschaftskonflikt gar zum Teil einer regionalen Konfrontation werden. Einige der autokratischen Herrscher könnten versucht sein, wenn sie sich existentiell gefährdet sehen, zu Tiananmen-Lösungen zu greifen und wie China 1989 die Demokratiebewegung blutig niederzuschlagen.
Doch je mehr Gewalt angewandt wird und je schwächer die staatlichen Institutionen sind, desto schwieriger wird es sein, einen Konsens über ein neues tragfähiges politisches System zu finden. So werden in Libyen oder im Jemen die Alternativen zu den alten Systemen nicht unbedingt demokratische sein. Vielleicht teilen sich die Stämme in neuen Arrangements die Macht auf. Sogar die Gefahr, dass die Staaten auseinanderbrechen, ist nicht auszuschließen.
Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar werden der regionalen politischen Druckwelle nicht völlig entgehen, können sie zunächst aber wohl weiter abfedern. Dabei helfen ihnen ihr Ölreichtum und die finanziellen Wohltaten, mit denen sie ihre Bürger subventionieren und damit bei Laune halten. Ihnen nützt aber auch teilweise eine
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