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Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Engel zu. Er lächelte zaghaft, fast ein wenig scheu – ein verwirrender Anblick in Anbetracht des Blutbads, das er und seine Gefährten gerade erst angerichtet hatten. Er streckte ihr die Hand entgegen, und diesmal griff sie zögernd danach, ganz kurz nur. Plötzlich drehte sie sich zu mir um, kam dann zurück und nahm meine Hand, führte mich über die Leichen der Soldaten hinweg zu den anderen Engeln.
    Argwöhnische Blicke streiften mich, und eines der Mädchen sagte etwas auf Latein zu Angelina, das ich nicht verstand. Die Antwort war nur ein Kopfschütteln und ein aufmunternder Druck auf meine Finger. Ich hatte Angst, gewiss, und wer hätte das nicht in Begleitung dieser Wesen? Immer noch gelang es mir nicht, sie völlig als Menschen zu sehen. Ihre ganze Erziehung war darauf ausgerichtet gewesen, sie zu Kriegern des Herrn zu machen. Von frühester Kindheit an hatte man ihnen eingeredet, anders zu sein, besser, mächtiger, überlegener. Ich fragte mich, wie die Eluciderii sich selbst sahen – hatten sie tatsächlich geglaubt, dass sie wahrhaftige Engel waren? Und wie groß musste die Enttäuschung gewesen sein, als sie die Wahrheit erkannten.
    So viele Fragen brannten mir auf den Lippen, doch ich wagte nicht, auch nur eine einzige zu stellen. Schweigend gingen Angelina und ich mit dem Tross aus Engelskriegern den Tunnel hinunter. Ich hatte die Fackel wieder aufgenommen. Die Engel selbst waren nicht darauf angewiesen, aber ich war nicht gewillt, ihnen durch völlige Finsternis zu folgen, ganz gleich, wie gut sie selbst darin zu sehen vermochten.
    Der Tunnel mündete in eine unterirdische Halle, deren Felsdecke mit gemauerten Säulen abgestützt war. In den Wänden gab es weitere Öffnungen, wo andere Gänge und Räume abzweigten. Verteilt in der Halle standen Geräte aus Holz und Stahl, Ungetüme zu Übungszwecken, einige, um die Muskeln zu stählen, andere, um daran Attacken und Paraden zu erproben.
    An einer Seite des Raumes lagen Decken auf dem blanken Felsboden. Die Nachtlager der Engelskrieger.
    Ich schaute mich um und konnte die Verzweiflung spüren, die in dieser Halle umging wie ein Gespenst aus der Vergangenheit. Die Borgia-Engel waren zurückgekehrt, doch alles, was sie hier vorgefunden hatten, waren die Ruinen ihres alten Zuhauses, aufgelöst und vergessen, gleich nachdem sie Rom verlassen hatten. Sie selbst waren zu Relikten einer vergangenen Zeit geworden, und anders als jene Engel, denen wir oben auf dem Bauplatz begegnet waren, sahen sie keinen Sinn mehr in ihrem Dasein. Sie hatten sich von ihren Meistern abgewandt, die Nachricht musste längst bis zum Vatikan gedrungen sein. Sie konnten nicht zurückkehren und sich erneut in die Dienste des Papstes begeben. Für ihre Untreue würde man sie töten.
    Die Engelskrieger waren heimgekehrt wie verschollene Brieftauben, die ihren alten Schlag leer und vergessen vorfanden. Keiner wollte sie mehr, keiner hatte Verwendung für sie. Papst Leo war vermutlich froh gewesen, sie los zu sein; die Tatsache, dass er immer noch einige Borgia-Engel zur nächtlichen Bewachung des Bauplatzes einsetzte, verriet letztlich nur seine Hilflosigkeit. Er konnte oder wollte sie nicht beseitigen, durfte ihre Existenz aber auch nicht offiziell eingestehen. Die Gerüchte über die Geister der verstorbenen Päpste, die des Nachts über den Platz streiften, kamen ihm sicher sehr gelegen. Was aber sollte er mit Engeln tun, die sich bereits einmal von ihm und seinen Zielen abgewandt hatten? Sie hatten sein Vertrauen verloren, und sie waren sich dessen durchaus bewusst. Ich bezweifelte, dass sie überhaupt den Versuch gemacht hatten, wieder zu dem zu werden, was sie einst waren. Stattdessen standen sie nun zwischen den Lagern, hin und her gerissen zwischen ihrer offenkundigen Menschlichkeit und dem, was ihnen ihre Lehrmeister eingehämmert hatten.
    Nun vegetierten sie also hier unten dahin, ohne Aufgabe, ohne Ziel, ohne Hoffnung. Vermutlich ahnte man oben im Papstpalast längst, wer sich hier eingenistet hatte, denn gewiss waren die Soldaten, die uns überrascht hatten, nicht die ersten Männer gewesen, die hier unten den Tod gefunden hatten. Es musste andere Zusammentreffen gegeben haben, andere Kämpfe. Ich konnte mir die Hilflosigkeit der Päpstlichen lebhaft ausmalen, ihr halbherziges Beharren auf Versuchen, Späher in diese finstere Unterwelt zu schicken. Vermutlich endeten alle mit dem gleichen niederschmetternden Ergebnis: Die Soldaten wurden von den abtrünnigen

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