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Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Entschuldigung!
    Und da begriff ich.
    Auch ich kannte diese vier. Ich war ihnen schon einmal begegnet, damals, am Fuß der Wartburg.
    Es waren Angelinas ehemalige Begleiter, jene Männer und Frauen, die sie aus ihrer Mitte verstoßen und ihr die schrecklichen Wunden auf dem Rücken zugefügt hatten. Jene Borgia-Engel, die einst unter dem Befehl Kardinal DeAriels gestanden hatten, die im Auftrag des Papstes mordend und brandschatzend durch die Lande gezogen waren – und sich doch am Ende für die Freiheit entschieden hatten. Nach dem Tod des Kardinals waren sie davongeritten, ohne einen weiteren Kampf mit uns zu suchen. Damals waren sie noch zu fünft gewesen.
    Was aber hatte sie hierher verschlagen?
    Die Erkenntnis kam mir, als ich Angelina anblickte, die immer noch starr wie aus Eis gehauen dastand und den Wortführer der Engelskrieger anblickte. Ich bemerkte, dass die Spitze ihrer Klinge unmerklich zitterte. Unter der Narbenmaske ihres Gesichts musste in ihrem Kopf ein schreckliches Durcheinander herrschen, hin und her gerissen zwischen dem Hass auf ihre Peiniger und – ja, und der Erleichterung, sie zu sehen. Dies waren ihre Brüder und Schwestern. Die gemeinsamen Jahre der Gefangenschaft in den Katakomben des Vatikans hatten sie zusammengeschweißt. In einem Anflug von Eifersucht wurde mir klar, dass Angelina die Gesellschaft dieser Geschöpfe vermisst hatte – trotz allem, was zwischen ihnen vorgefallen war. Ich mochte mich noch so sehr bemühen, Angelina zu begreifen, ihr Wesen zu durchschauen und ihre Vergangenheit zu enträtseln; wahres Verständnis konnten für sie nur die anderen Engelskrieger aufbringen. Sie waren dabei gewesen, sie hatten das Gleiche durchgemacht, die gleichen Qualen, die gleichen Schikanen. Angelina war wie sie und würde es immer bleiben, egal, wie lange sie an meiner und Faustus’ Seite ritt.
    Der Engelskrieger kam näher. Nach kurzem Zögern schob er sein Schwert zurück in die Scheide. Ich sah, dass ein langer Blutspritzer sein Gesicht teilte, von der linken Wange über den Nasenrücken bis hinauf zur Stirn. Er machte sich nichts daraus. Er und die Seinen waren Blut und Tod gewohnt.
    Auch die drei anderen Borgia-Engel stiegen nun über die Leichen, mit Schritten, die an diesem Ort, unter diesen Umständen eine Eleganz besaßen, von denen gewöhnliche Menschen nur träumen können. Es war dieselbe Art und Weise, auf die sich auch Angelina bewegte. Ich erschrak, als mir klar wurde, dass ich sie in jedem dieser vier wieder erkannte, in ihren Regungen, sogar im Blick der hellblauen Augen, die ihnen allen zu Eigen waren.
    Wieder redete der Engelskrieger auf Angelina ein, sanfter jetzt, und er streckte ihr beide Handflächen entgegen, eine Geste des Friedens. Mich aber, der ich unmittelbar neben ihr stand, beachtete er mit keinem noch so kurzen Blick. Das Bewusstsein der Überlegenheit, das diese Männer und Frauen ausstrahlten, war überwältigend; es konnte mich nicht einmal beleidigen, so überzeugt war ich von seiner Rechtmäßigkeit. Mit welchen Mitteln und zu welchem Zweck der Borgia sie auch immer erschaffen hatte – herangezüchtet, müsste ich sagen –, das Ergebnis war ohne Zweifel beachtlich. Die Bedeutung des Wortes Magie war mir durch meine Arbeit mit dem Meister wohlvertraut, doch die Ausstrahlung der Engel ließ sich nicht einmal damit vergleichen – sie waren durch und durch überirdisch, trotz ihrer Sterblichkeit und menschlichen Herkunft. Ich ertappte mich dabei, dass ich sie beneidete – ehe ich mir geschwind klarzumachen versuchte, dass nichts die Leiden der Kinder aufwiegen konnte, die diese Kämpfer einst gewesen waren. So übermenschlich sie jetzt auch erschienen, so unmenschlich war der Weg dorthin gewesen.
    Angelina hielt das Schwert immer noch kampfbereit in der Hand, und auch der Engelskrieger schien jetzt zu erkennen, dass sie mit Worten allein nicht zu besänftigen war. Er blieb stehen und tat etwas, das mich im ersten Augenblick zutiefst verwirrte.
    Der Borgia-Engel zog sein Wams aus.
    In Windeseile stand er mit nacktem Oberkörper vor uns, schlank und muskulös, die Gestaltwerdung von Zähigkeit und Ausdauer. Dann drehte er sich ganz langsam um.
    Zwei Wunden prangten auf seinem Rücken, Schnitte, doppelt so lang wie meine Hand und zwei Finger breit. V-förmig wie eine römische Fünf berührten sie einander kurz über dem Gürtel des Mannes. Sie waren noch nicht völlig verheilt und von einem dunklen Rosa; ich sah, dass die linke nässte.
    Hinter dem

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