Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
am Boden niedersetzten, ohne ein Wort, jeder das Gesicht den anderen zugewandt. Mir wurde schwer ums Herz bei diesem Anblick, ich trauerte um diese vier verschenkten Leben, um die Zukunft der Kinder, die sie einst gewesen waren.
Sie warteten, wie sie es seit Monden taten. Warteten auf den nächsten Spähtrupp von oben, auf den nächsten Kampf, die nächste Gelegenheit, sich zu beweisen, dass nicht alles umsonst gewesen war. Sie konnten immer noch das tun, was sie gelernt hatten. Sie hatten den Geschmack der Gewöhnlichkeit gekostet, aber sie war ihnen auf immer versagt geblieben. Gestrandete zwischen zwei Welten, weder der einen, noch der anderen zugehörig.
Niemals war mein Hass auf den Borgia größer als während dieses letzten Blicks auf die vier Engelskrieger. Er hatte sie zu dem gemacht, was sie waren. Er allein trug die Schuld.
Als ich im Gehen zu Angelina hinüberblickte, sah ich sie im Schein der Fackel weinen. Tränen wie glitzernde Kristalle, die sich langsam den Weg über das Narbengewebe ihrer Wangen suchten.
6. Kapitel
Efeu schlängelte sich an den Wänden des Innenhofs empor, ein grüngelbes Blättermeer, das die Mauern bedeckte und nach den Scheiben der Fenster leckte. Knorrige Bäume erhoben sich im Zentrum des Hofs, umrahmt von wildwuchernden Büschen, von Blumen und einem Kirschbaum in voller Blüte. Wie Neuschnee leuchteten die Blätter an seinen Ästen, doch Faustus ließ sich von ihrem reinen Glanz nicht blenden. Alles Weiß dieser Welt konnte nicht übertünchen, dass er sich im dunklen Herz des Palazzo befand. In der Heimstatt des wieder geborenen Borgia.
Der Kirschbaum stand im Zentrum des Hofes und überragte alle anderen Pflanzen. Langsam ging Faustus darauf zu und blieb unter der Blütenpracht der ausladenden Äste stehen. So weit er sehen konnte, war er allein in dem Garten. Es gab zwei Zugänge – einen in seinem Rücken, durch den er von zwei Bewaffneten hereingestoßen worden war, und einen zweiten in der gegenüberliegenden Wand. Rundherum ragten die Mauern des Palazzo dreigeschossig empor, die Fenster waren vergittert und von innen mit Samt und Brokat verhängt.
Faustus spürte noch immer den fleischigen Hals des Inquisitors unter seinen Fingerspitzen. In seinen Gedanken durchlebte er wieder und wieder den Moment, als Asendorfs Adamsapfel nachgab, hörte das letzte Röcheln, als er starb. Faustus hatte erst losgelassen, als er sicher war, dass der Mann tot war, und jetzt hatte er das überwältigende Bedürfnis, sich die Hände zu waschen. Er hätte sich bücken und die Finger am Gras abwischen können, doch diese Blöße wollte er sich nicht geben. Gewiss beobachtete man ihn, wartete nur auf ein Anzeichen von Unsicherheit.
Als die Wachtposten in den Raum des Inquisitors gestürmt waren, alarmiert vom hochtönenden Jammer des Bibelzwergs, war Asendorf nicht mehr am Leben gewesen. Bis zuletzt hatte Faustus damit gerechnet, dass man ihn zurückzerren würde, bevor alles Leben aus dem Kranken entwich, dass irgendwer dem Hexenjäger zur Hilfe kommen würde. Dass dies nicht geschehen war, konnte nur bedeuten, dass der Borgia Asendorfs Tod vorausgesehen, vielleicht sogar gewünscht hatte. Oder aber, dass seine Gleichgültigkeit weit über das hinausging, was der Inquisitor vermutet hatte.
Für kurze Zeit hatte man Faustus in einem kahlen Raum im Erdgeschoss des Palazzo eingesperrt. Dann war er abgeholt und hierher gebracht worden. Es gab kaum einen Zweifel, wem er hier begegnen sollte, in diesem friedlichen Garten voller Grün und der Aura des Lebendigen.
Um ihn herum regneten Kirschblüten herab wie Schneeflocken, gemächlich schwebend, lautlos.
Faustus blickte auf – und sah ihn.
Sah ihn über sich in den Zweigen hocken, ebenso weiß wie die Blüten, die ihn wie Meerschaum umflossen. Einen jungen Mann von zarter Gestalt, nicht so groß wie die anderen Eluciderii, eher ein wenig verweichlicht, und doch erkannte Faustus sofort, warum der Borgia diesen Körper gewählt hatte, um darin unsterblich zu werden. Es war das Gesicht des Jungen, das ihn angezogen haben musste, schon damals, vor so vielen Jahren, als er noch ein kleines Kind gewesen war. Anmutig war es, ebenmäßig wie die Züge der anderen Eluciderii, und doch hob es sich deutlich von ihrer einförmigen Schönheit ab. Der Junge hatte große blaue Augen von solcher Unschuld, dass selbst die Lehrmeister des Borgia ihnen in den Katakomben keinen Makel, keinen Fehl hätten einprügeln können. Wer in diese Augen schaute,
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