Die neue Historia des Dr. Faustus 03 - Die Engelskrieger
Engelskrieger taten es ihm die drei anderen gleich. Ohne jede Scham zogen sich auch die beiden jungen Frauen ihre Wämser über die Köpfe. Ihre Brüste waren zart und schneeweiß wie die Angelinas. Alle drei wandten sich um und präsentierten ihre Rücken. Auf allen dreien bot sich das gleiche Bild. Sogar im schwachen Fackellicht konnte ich erkennen, dass sich die Wunden eines der Mädchen entzündet hatten. Dennoch zeigte es keine Anzeichen von Schmerz oder Unwohlsein. Es ertrug die Pein mit derselben Gleichmut, mit der es sein bisheriges Leben ertragen hatte. Schmerz war für die Borgia-Engel kein Hindernis, sondern Ansporn. Ihre grausamen Lehrmeister hatten wahrlich ganze Arbeit geleistet.
Angelina ließ die Klinge sinken. Mit einem leisen Klirren stieß die Spitze gegen den Fels. Vor Anspannung wagte ich kaum zu atmen.
Der vordere der Engelskrieger zog sich sein Hemd wieder über und blieb vor Angelina stehen. Er streckte ihr die Hand entgegen, doch sie schlug die Geste aus. Wieder sprach er sanft auf sie ein, und erneut verstand ich nur Teile, die ich in Gedanken zu einem verständlichen Ganzen zusammenfügte.
Von Wurzeln sprach er, Flügelwurzeln, und davon, dass sie alle sie sich herausgeschnitten hätten, um endlich zu Menschen zu werden. Das, was sie Angelina einst gewaltsam angetan hatten, hatten sie einander schließlich selbst zugefügt. Sie hatten keine Engel mehr sein wollen, keine Kämpfer im Dienste blutrünstiger Herrn. »Wir sind jetzt wie du«, hörte ich ihn zu Angelina sagen. »Wir sind alle gleich.«
Angelina schüttelte langsam den Kopf und fuhr sich mit einer Geste über die verbrannten Züge. Sie war nicht wie die anderen. Sie alle hatten noch ihre Gesichter, ihre geisterhafte Anmut und Schönheit. Angelina aber musste ihr Gesicht unter einer Maske verbergen.
Der Wortführer der Engel nickte langsam und fuhr fort, sprach davon, wie sie viele Monde lang durch die Lande gezogen waren, sich von der Jagd ernährt und in Höhlen und Wäldern geschlafen hatten. Schließlich aber hatten sie erkannt, dass sie niemals gewöhnliche Menschen sein würden. Das Herumziehen zermürbte sie, das Fehlen eines Ziels und eines Zuhauses machte sie krank und unzufrieden. Mehrmals hatten sie versucht, unter Menschen zu gehen, doch aufgrund ihrer sonderbaren Erscheinung waren sie gemieden, sogar verspottet worden. Man hatte sie angegriffen, und eine Weile lang hatten sie versucht, allem Streit durch Rückzug auszuweichen. Doch die Spötter hatten dadurch neuen Mut geschöpft und begonnen, sie in Kämpfe zu verwickeln. Einer der Engel war feige ermordet worden, ehe sie schließlich zurückschlugen und nahezu alle Männer eines Dorfes erschlugen, ein rasches, gezieltes Blutbad, das ihnen erneut vor Augen führte, was sie waren und auf ewig sein würden: Krieger, zum Töten erzogen und zu nichts anderem zu gebrauchen als zum Blutvergießen. Damals hatten sie beschlossen, zurückzukehren an den Ort ihrer Erziehung, den Ort, der ihre wahre Heimat war.
Hierher. Nach Rom. In die Katakomben unter der Engelsburg.
Ich begriff endlich, was Angelina hier unten suchte. Als sie den Zugang entdeckt hatte, war auch in ihr der Wunsch entbrannt, endlich heimzukehren. Der Suche ohne Ziel ein Ende zu machen. Wieder das zu sein, was sie immer gewesen war.
Es war die gleiche Erkenntnis, die mir bereits oben in den Ruinen der Basilika gekommen war, als ich Angelina zwischen dem Säulengeviert der Petruskrypta gesehen hatte.
Hier unten aber waren ihre Empfindungen um ein Vielfaches stärker. All die Jahre waren wieder präsent, jene Zeit, geprägt von der Schulung an Schwert und Dolch und Armbrust, von Entbehrung und Strafe und Schmerz. Eine Zeit, die trotz allem ihre Kindheit war.
Ich verstand sie. Verstand jeden ihrer Gedanken, jede ihrer Empfindungen – und fühlte mich ihr dabei näher als jemals zuvor, ausgerechnet in jenem Augenblick, da ein Bruch zwischen uns immer näher rücken mochte. Falls sie wirklich hier bleiben wollte, zusammen mit den anderen, die sich an diesem Ort verkrochen hatten, konnte ich sie nicht aufhalten. Die Katakomben mochten leer stehen, gewiss wurden seit dem Tod des Borgia keine neuen Engel mehr herangezogen – doch noch immer hatten diese Höhlen eine große Bedeutung für jene, die einst hier gelebt hatten.
Ich sah Angelina an, musterte ihr Profil. Sah den Blick ihrer Augen. Die Ausgestoßene war zurückgekehrt in den Schoß ihrer Gemeinschaft.
Sie machte einen Schritt auf den Anführer der
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