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Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler

Titel: Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Löffler
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nicht die Augen.
    Doktor Gabbay ist die tragischste Gestalt unter den vielen tragischen Unglücksfiguren des Romans. Es ist sein trauriger Ruhm, der letzte Jude zu sein, den das Regime ermordete. Er wird öffentlich gehenkt. Sein Hinrichtungsfoto findet sich auf der ersten Seite der Regierungszeitung: «Sie nannten ihn nicht einmal beim Namen. ‹Der letzte Jude› war die Unterschrift zu dem verschwommenen Bild auf der Titelseite. Man sah nur einen am Galgen baumelnden Körper. Auf seiner Brust hing ein Schild mit der Aufschrift: ‹Der letzte Jude›.»
    So ist «Engel des Südens» als großes Epos des Scheiterns zu lesen. Die Nationengründung ist dem postkolonialen Irak nicht gelungen, der menschliche und kulturelle Reichtum des Landes wurde verschleudert und vernichtet. Darüber stimmt Najem Wali seinen großen Klagegesang an, der zugleich eine sehnsüchtige Liebeserklärung ist – an einen Irak, der nicht mehr existiert.
    Erwähnte Bücher
    Pius Alibek «Als ich unter Sternen schlief», Erinnerungen (Insel 2011)
    Sinan Antoon «Irakische Rhapsodie», Roman (Lenos 2009)
    Sherko Fatah «Im Grenzland», Roman (Jung und Jung 2001)
    Sherko Fatah «Das dunkle Schiff», Roman (Jung und Jung 2008)
    Sherko Fatah «Ein weißes Land», Roman (Luchterhand 2011)
    Abbas Khider «Der falsche Inder», Roman (Edition Nautilus 2008)
    Abbas Khider «Die Orangen des Präsidenten», Roman (Edition Nautilus 2010)
    Abbas Khider «Brief in die Auberginenrepublik», Roman (Edition Nautilus 2013)
    Ursula Naumann «Euphrat Queen. Eine Expedition ins Paradies» (C.H.Beck 2006)
    Najem Wali «Engel des Südens. Die Bücher von Amaria», Roman (Hanser 2010)
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Nuruddin Farah: Der Chronist des kaputten Somalia
    Somalia hat eine entsetzlich schlechte Presse, nicht erst seit
Nine Eleven.
Fällt der Name des Landes am Horn von Afrika, so denkt die Welt nur an Anarchie und Chaos, an Bürgerkrieg, Hungerkatastrophen, Clan-Fehden, al-Qaida und Piraterie. Seit Jahren hält sich Somalia an der Spitze aller Ranking-Listen der sprichwörtlichen «Failed States» der Welt.
    Tatsächlich hat kaum ein afrikanischer Staat eine derart opulente Desastergeschichte aufzuweisen wie Somalia. Erst wurde das Land, das aus dem Zusammenschluss der Kolonien Italienisch-Somaliland im Süden und Britisch-Somaliland im Norden hervorging und 1960 unabhängig wurde, zwei Jahrzehnte lang von einem Putsch-General namens Siad Barre ausgeplündert und diktatorisch zugrunde regiert. Und danach, als Barre mit seiner Ost-West-Schaukelpolitik und dem Fiasko seines Ogaden-Feldzugs 1991 glorios gescheitert war, beeilten sich die verfeindeten Clans der somalischen Nomadengesellschaft, das Machtvakuum für sich zu nutzen und das Land mit ihren Clan-Fehden zu überziehen und zu verhackstücken.
    Seit damals herrscht Bürgerkrieg. Es bekriegen sich ein halbes Dutzend Clan-Familien, zahllose Sub-Clans und ungezählte Milizen. Alle Institutionen von Staatlichkeit sind inzwischen zusammengebrochen. Es gibt keine Regierung, kein Parlament, keine Verwaltung, keine Gerichte, kein Gesundheitswesen, keinen öffentlichen Dienst. Lokale Kriegsherren rangeln um die Vorherrschaft ihrer jeweiligenFamiliengebiete – lauter Mini-Siad-Barres, die das Land entlang der Clanlinien unter sich zerstückeln. UN-Friedenseinsätze sind blutig misslungen. Erinnerlich ist vor allem das amerikanische Desaster der Schlacht von Mogadischu 1993 mit den geschändeten Leichen gefallener US-Marines, die von einem Lynch-Mob nackt durch die Straßen von Mogadischu geschleift werden. Der Hollywood-Film «Black Hawk Down» hat diese Katastrophe grell und reißerisch bebildert.
    Die alten Familienfehden der Warlords werden inzwischen von fundamentalen religiösen Zerwürfnissen überlagert. Als neue Konfliktpartei ist ein al-Qaida-Ableger am Horn von Afrika aktiv geworden, die Shabaab-Milizen: eine radikal-islamische Gruppierung, die mittels Terror einen Gottesstaat nach allen Regeln der Scharia durchsetzen will. Die Milizen haben zwar die Kriegshändel rivalisierender Warlords vorübergehend eingedämmt, kämpfen ihrerseits aber gegen eine schwächliche und machtlose Übergangsregierung, die wiederum vom Erzfeind Äthiopien unterstützt wird. Zeitweise wurde die Lage durch die Einmischung des verhassten Nachbarn und den Einmarsch äthiopischer Truppen

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